Willie Nelson - That's Life

CD Cover: Willie Nelson – That's Life

Mit "That's Life" zieht Willie Nelson erneut seinen Stetson vor Frank Sinatra.

Das schafft nur Willie Nelson. Der Mann mit dem faltendurchfurchten Gesicht und den grauen Indianerzöpfen ist vielleicht der verwegenste und mutigste Grenzgänger der Musikgeschichte. Er bringt zusammen, was sich - vermeintlich - gegenseitig so abstößt wie die beiden Pole eines Magneten. So grenzt es erneut an Hexerei, was die mittlerweile 87-jährige Country-Legende auf "That's Life" serviert: elf Klassiker und weniger bekannte Songs des "Great American Songbook", elf Songs aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts; elf Jazz- und Big-Band-Songs von Komponisten wie George Gershwin, Frank Loesser und Cole Porter. Und dazu: elf Songs, welche mitunter den Legendstatus von Frank Sinatra begründeten. All das countryfiziert Willie Nelson zu einem fantastischen Sound-Gebräu, das Stilgrenzen pulverisiert.

Willie Nelson, der mutigste Grenzgänger der Musikgeschichte?

Verwegen? Und ob! Bei genauerer Betrachtung aber ist "That's Life" eigentlich eher eine logische Konsequenz. Denn einerseits waren der rebellische Cowboy und der nicht weniger rebellische Jazz-Crooner Frank Sinatra viele Jahre lang gut befreundet. Willie eröffnete beispielsweise viele Konzerte von "Ole Blue Eyes" in Las Vegas. Man verstand sich, man respektierte sich, man mochte sich. "Ich habe viel von Frank über Phrasierung gelernt", gestand Nelson 2018 einem Musikfachblatt, "vor oder nach dem Beat zu singen - das war Frank völlig egal. Es ging ihm stets nur um das richtige Gefühl beim Singen."

Wohl wahr, wohl wahr. Bis heute definiert der unglaublich lässige, super coole Gesangsvortrag von Frankie-Boy den Status Quo des Jazz-Gesangs. Wenn diese fingerschnippende Note aber auf den Style eines Country-Urgesteins vom Schlage eines Willie Nelson trifft, muss eine geradezu explosive Mixtur herauskommen. Schon fast zwangsweise. Das zeigte sich schon 2018, als sich Willie mit "My Way" erstmals vor seinem großen Kollegen und Geistesbruder verneigte. Jetzt also "That's Life". Auf dem gemalten Cover posiert der musikalische Tausendsassa rauchend (kiffend?) und mit seiner heißgeliebten Trigger um den Hals unter einer Straßenlampe - und verweist damit unmissverständlich auf Frank Sinatras neuntes Studio-Album aus dem Jahr 1955 "In The Wee Small Hours".

Um den Klangkosmos dieser Big Band- und Swing-Titeln zu erschließen, musste Willie Nelson seine eher kleine Studio- und Tourband natürlich aufstocken. So buchte er - gemeinsam mit seinen Produzenten Buddy Cannon und Matt Rollings - für die Sessions in Hollywoods Capitol Studios einen standesgemäß großen Bläser- und Streichersatz. Wie sonst auch ließen sich Swing-Standards wie "Cottage for Sale", "Nice Work If You Can Get It", "Luck Be A Lady" oder den von Cole Porter geschriebenen Sinatra-Signature-Track "I've Got You Under My Skin" in Szene setzen? Ein vielhörniges Gebläse ist da schon unverzichtbar - genau wie ein sanft gewebter Streicher-Teppich bei Balladen wie "Cottage For Sale".

Trotz Country-Touch: auf "That's Life" dominieren die jazzigen Töne

Doch Willie und seine beiden Produzenten belassen es natürlich nicht beim bloßen Reproduzieren. Sie wollten die Fusion mit dem erdigen Roots-Genre und mit der ureigenen Klang-Handschrift von Willie Nelson. Genau das macht auch den Reiz von "That's Life" aus. So bekommen die großen, einst von Meisterhand entworfenen Melodien und Rhythmen einen neuen Anstrich, einen neuen Drive und - mit der Harmonica von Mickey Raphael und der Steel Guitar von Paul Franklin - klangliche Kontrapunkte als willkommene Kontraste.

Erstaunlicherweise hält sich Willie mit Soli auf seiner Trigger zurück. Hier mal ein Takt bei "You Make Me Feel So Young", da mal ein Solo bei "Lonesome Road", das wars aber fast schon. Wer weiß, vielleicht liegen ihm die komplexen Akkordfolgen nicht so sehr. Vielleicht aber lässt er, ganz der generöse Gastgeber, dem legendären Session-Gitarristen Dean Parks den Vortritt bei den ohnehin eher raren Soloausflügen. Dass Parks das Format mit perlenden Jazz-Läufen perfekt bedienen kann, versteht sich bei ihm von selbst. Da aber auch sonst eher die Trompete von Mike Haynes und das Klavier oder die Orgel von Matt Rollings im Mittelpunkt stehen, überwiegen bei "That's Life" dann doch die jazzigen Elemente. Dafür sorgt auch das einzige Duett der CD: Bei "I Won’t Dance", ein swingender Big-Band-Feger aus den 1950er Jahren, teilt sich der unwiderstehliche Country-Charmeur das Mikro mit Jazz-Lady Diana Krall – und setzt ein weiteres Glanzlicht der CD.

Fazit: Willie Nelson zieht seinen Stetson vor Frank Sinatra: "That's Life" bietet elf Klassiker und weniger bekannte Songs aus dem "Great American Songbook" - und damit mehr Jazz als Country. Trotzdem natürlich eine top CD vom Altmeister.

Label: Legacy (Sony) VÖ: 26. Februar 2021
01 Nice Work If You Can Get It
02 Just In Time
03 Cottage For Sale
04 I've Got You Under My Skin
05 You Make Me Feel So Young
06 I Won't Dance (mit Diana Krall)
07 That's Life
08 Luck Be a Lady
09 In the Wee Small Hours of the Morning
10 Learnin' the Blues
11 Lonesome Road
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