Wie in den letzten Jahren üblich, vertraut Willie Hugh Nelson, wie der Country-Veteran mit vollem Namen heißt, auch bei seinem jüngsten Werk auf ein eingespieltes Team. Eine Mannschaft um Produzent, Gitarrist und Songschreiber-Kumpel Buddy Cannon und Musikern wie Bassist Kevin "Swine" Grantt, Drummer Chad Cromwell und Mundharmonika-Virtuose Mickey Raphael. Dass dabei nur traditioneller Country-Sound der Premium-Klasse herauskommen kann, versteht sich da von selbst.
Wird höchsten Qualitätsmaßstäben gerecht: "First Rose of Spring"
Doch Willie Nelson wäre nicht der Großmeister des Genres, würde er nicht besondere Sorgfalt auf die Songauswahl legen. Nur mal schnell ein Dutzend neuer Songs schreiben? Nicht mit ihm. Dabei wäre das für den vermutlich kreativsten aller singenden Westmänner wohl nur eine mittelschwere Fingerübung. Doch ihm geht es um mehr. Er hat immer einen Plan, ein Anliegen. Das machen auch die elf Tracks von "First Rose of Spring" deutlich: Er serviert auf dem Tonträger Songs aus fremder Feder und Eigenkompositionen aus unterschiedlichen Dekaden und Epochen: Oldies aus den 50ies und 60ies, Titel aus den 70er und 80ern und - knapp die Hälfte - ist aktuelle Song-Ware. Erstaunlicherweise klingt das Album trotzdem wie aus einem Guss. Auch das schafft so nur Willie Nelson.
Für den Auftakt des Lieder-Bouquets von "First Rose of Spring" sorgt der Titeltrack, vor drei Jahren von Randy Houser, Allen Shamblin und Mark Beeson geschrieben. Randy Houser hat den Track nie veröffentlicht. Kann man fast verstehen, hört man Willie Nelson diesen so romantischen wie traurigen Track singen ("The first time he saw her, he knew everything had changed" sind die ersten beiden Zeilen). Es ist: Ein echter, nur zu typischer Willie-Nelson-Song - und damit eigentlich zu subtil für die Wuchtbrummen-Stimme von Randy Houser.
Ähnlich romantisch aber um einen Tick druckvoller geht es mit der neuen Nelson/Cannon-Komposition "Blue Star" weiter. Ein wunderschöner Song mit tollen Harmonien und einem Refrain, der einem von irgendwo bekannt vorkommt, der einem vor allem aber nicht mehr so schnell aus dem Kopf geht. Als Glanzlicht des höchst poetischen und zu keiner Note/Zeile kitschigen Liebesliedes steuert Willie ein Solo auf seiner heißgeliebten Trigger bei.
Das nachfolgende "I'll Break Out Again Tonight", geschrieben von Sanger "Whitey" Shafer und Doodle Owens hat exakt 50 Jahre mehr auf den Notenblättern - was man nicht merkt. Zu keinem Moment. Überhaupt gilt: In Willie Nelsons musikalischem Schaffen haben so banale Dinge wie Moden und selbst Stilrichtungen keinen Platz. Deshalb klingt ein Song aus dem Jahre 1969 in seiner Fassung aktuell und gleichzeitig retro, genau wie eine seiner neuen Kompositionen: so wie ein zeitloser Country-Song nur klingen kann.
Das gilt auch für die altersweise und erstaunlich subtile Toby Keith-Komposition "Don't Let The Old Man In", für den Country-Swing "Just Bummin' Around", Jahrgang 1953 und sogar für die herrliche Country-Ballade "Our Song", eine neue Komposition von Country-Hipster Christ Stapleton. Besser als Willie Nelson könnte auch Stapleton diesen, mit so schlauen wie berührenden Akkord-Wendungen ausgestatteten, Song nicht interpretieren.
Willie Nelson setzt ein politisches Statement
Dass sich Willie Nelson für "First Rose of Spring" auch den engagierten Billy Joe Shaver-Track "We Are The Cowboys" ausgesucht hat, ist sicher kein Zufall. Ganz im Gegenteil. Der Song ist schließlich ein Statement für Toleranz und gegen Diskriminierung und damit gegen die Politik von US-Präsident Trump. "Cowboys are average American people", heißt es in der dritten Strofe, "Texicans, Mexicans, black men and Jews." Klarer geht eine Ansage nicht - die hoffentlich auch diejenigen hören, die sie hören sollten.
Gegen Ende der CD geben erneut Nelson & Cannon eine Kostprobe ihrer hohen Songwriting-Kunst. Die hintergründigen Betrachtungen der Liebe haben sie bei "Love Just Laughed" in ein schon fast aufwändiges Arrangement und in einen für Neil Young typischen Sound verpackt.
Für den Abschluss sorgt schließlich ein echter Song-Exot: "Yesterday When I Was Young (Hier Encore)". Den Titel hat Mitte der 1960er Jahre der französische Chansonier Charles Aznavour (mit Herbert Kretzmer) mit viel Gefühl und Können komponiert. Dass er damit einen Evergreen gelandet hat, beweist jetzt auch Willie Nelson mit dieser zum Niederknien schönen Interpretation.
Fazit: Willie Nelson zum 70.: "First Rose of Spring" zeigt das Country-Urgestein in absoluter Bestform. Einziges Manko der CD: das - sorry - ziemlich misslungene Cover-Artwork, für das Willies Sohnemann Micah verantwortlich ist.
Label: Legacy (Sony) | VÖ: 3. Juli 2020 |
01 | First Rose of Spring |
02 | Blue Star |
03 | I'll Break Out Again Tonight |
04 | Don't Let the Old Man In |
05 | Just Bummin' Around |
06 | Our Song |
07 | We Are the Cowboys |
08 | Stealing Home |
09 | I'm the Only Hell My Mama Ever Raised |
10 | Love Just Laughed |
11 | Yesterday When I Was Young (Hier Encore) |