Schade, denn: Der 74jährige der- wie das Coverfoto klar macht- locker auch als 84jähriger durchgehen könnte, könnte prominenten Support durchaus brauchen. Er ist trotz seiner vielen Klassiker wie "Okie From Muskogee", "Mama Tried" und "Silver Wings", trotz seiner Aufnahme in der Country Hall of Fame und trotz seines geläuterten Lebenswandels einfach nicht mehr so richtig angesagt.
Auch mit "Working In Tennessee" wird er nicht die letzte Kurve wie der späte Johnny kriegen. Leider, denn das grauhaarige Knittergesicht hätte jede Menge Kultpotential zu bieten. Doch Haggard produziert auch diese CD selbst. Dabei würden ihm ein Rick Rubin oder T-Bone Burnett an seiner Seite bestimmt gut tun.
Die beiden Hit-Schmiede hätten ihm bestimmt den einen oder andern Song, oder zumindest das eine oder andere Arrangement ausgeredet. Zum Beispiel "Jackson", das überflüssige Duett mit Merles Frau Theresa. Okay, er und Johnny waren befreundet. Cash war seine erste Inspiration als er in St. Quentin einsaß und Johnny Cash auf der Bühne sah. Er und seine Frau ziehen damit noch einmal den Hut vor Johnny & June. Dennoch: Es wirkt irgendwie irritierend. Zumal es irgendwie nach Kopie klingt. Nein, das hat der Mann bestimmt nicht nötig...
Auch in "Cocaine Blues" erweist er stimmlich und klangfarblich dem großen Johnny seine Referenz. Dieses Mal aber viel besser. Der Song verströmt eine dunkle, etwas mystische Stimmung, in der sich die mit allen Wassern und Whiskeys geölte Stimme von Merle Haggard hörbar wohl fühlt. Nicht gerade feinnervig lyrisch, und schon gar nicht mit hintergründigen Metaphern beladen, geht er "What I Hate" an. Ein kleines Liedchen eines alten Mannes, in dem er sein schwarz-weißes-Weltbild ausbreitet. Garantiert zu 100 Prozent ehrlich- und damit auch überzeugend.
Trotz des einen oder anderen politischen Statements ("...what I hate is a war still goin' on...") klingt aber auch da durch: früher war alles besser. Diese Haltung schlägt auch bei "Too Much Boogie Woogie" (ja, ein Boogie Woogie) durch. Nicht ohne jedoch Marty Stuart, Willie Nelson und Emmylou Harris als die letzten Aufrechten des Genres zu würdigen. Sie werden sich freuen.
Ansonsten gibt es noch einen mit etwas traurigem Witz beladenen Joke-Song "Laugh It Off" (herzhaftes Lachen inklusive) und zwei typische Haggard-Blues-Tracks: "Truck Driver's Blues" und "Workin' Man Blues". Bei Letzterem heitern ihn Willie Nelson und Sohnemann Ben hörbar auf. Feine Mitmusiker wie Gitarrist Reggie Young und Dobro-Ass Rob Ickes sorgen für musikalische Qualität.
Fazit: Ein Mann, eine Ikone, ein Denkmal. Warum greift dem Senior der Outlaw-Country-Szene kein angesagter Producer unter die abgemagerten Arme? Er hätte es sich verdient.
Label: Vanguard (EMI) | VÖ: 30. September 2011 |
Titelliste
01 | Working in Tennessee | 07 | Too Much Boogie Woogie |
02 | Down On the Houseboat | 08 | Truck Driver's Blues |
03 | Cocaine Blues | 09 | Laugh It Off |
04 | What I Hate | 10 | Workin' Man Blues (mit Willie Nelson und Ben Haggard) |
05 | Sometimes I Dream | 11 | Jackson (mit Theresa Haggard) |
06 | Under the Bridge |