Aber auch unverschämt gut und talentiert. Seit Karrierebeginn, Anfang der 80er Jahre gehen rund ein Dutzend Alben, etliche Hits und satte vier Grammys auf sein künstlerisches Konto. Eine lange und eine erfolgreiche Karriere steht zu Buche. Dieser Erfolgsstory fügt er mit "Release Me" - jede Wette - einen weiteren Treffer bei.
14 Titel präsentiert er mit der von Nathaniel Kunkel (der Sohn von Studio-Veteran und hier natürlich spielenden Drummer Russ Kunkel) und ihm selbst produzierten CD. 14 Songs, die selbstverständlich eng gesetzte Country-Rahmen sprengen. Nein, Lyle Lovett mag es big. Big und weit und endlos wie Texas. Nicht umsonst heißt seine Begleitcombo The Large Band.
Als aufrechter Texaner hat er sich die dann doch für seine Verhältnisse relativ kleine Studiomusikerschar nach Texas geladen: ins Blue Rock Studio in Wimberley. Den Ruf des Country-Sonderlings folgten unter anderem Pianist Matt Rollings, Mandolinen-Star Sam Bush, Paul Franklin an der Steel Guitar, Bassist Viktor Krauss und Gitarrist Dean Parks. Eine noble Runde.
Erstaunlicherweise stellt Lovett auf dieser CD weniger seine bemerkenswerten Songwriter-Fähigkeiten aus. Lediglich zwei Titel gehen auf sein Konto. Doch die haben es natürlich in sich: das im Ragtime-Feeling angesetzte "The Girl With The Holiday Smile" und der im Drei-Viertel-Takt angestimmte Country-Folk von "Night's Lullaby". Zwei Tracks, unauffällig gegen Ende der CD platziert. Aber auch zwei Titel, die das Genie von Lyle Lovett schön beschreiben: Ohne aufgeblähte, auf Effekte zielende Arrangements gelingen ihm brillante, unverkennbare Songs - durch Wortwitz, einfühlsame Interpretation und der unantastbaren Qualität der musikalischen Leistungen. Solides Handwerk? Exzellentes Handwerk. Songwriter-Handwerk!
Doch wie gesagt, auf "Release Me", das Coverfoto zeigt ihn mit einem Lasso gefesselt irgendwo in der Prärie, zieht er den Hut vor seinen Kollegen. Zum Beispiel vor Soft-Jazz-Haucher Michael Franks: Seine Interpretation von "White Boy Lost In The Blues" setzt gleich mal ein schillerndes, witziges und virtuoses Highlight. Mit "Baby, It's Cold Outside", geschrieben von Frank Loesser, wechselt er mühelos vom rustikalen Blues zum lässigen Hotel-Jazz. An seiner Seite die junge Jazzlady Kat Edmonson - ein schickes Paar! Nächster Song - nächster Stilsprung: "Isn't That So", von Jesse Winchester. Der Singer/Songwriter aus Louisiana tauchte in den frühen 70er Jahren gelegentlich auf mittleren Charts-Positionen auf. Sein dynamischer, mit großem Rhythm & Blues-Besteck (Bläser, Chor) aufgenommene Titel deutet an, dass hier einer übersehen wurde.
Klasse auch Lovetts Interpretation des eher unbekannten Chuck-Berry-Songs "Brown Eyed Handsome Man". Ein Titel, wie er auch aus der Feder von Lyle Lovett stammen könnte. Kein Wunder, dass er sich den Song voll und ganz einverleibt und aus dem ursprünglichen Rock 'n' Roller einen superb entspannten Country-Blues macht.
Der leiseste Song ist einer der besten. "Dress of Laces", geschrieben von John Grimaudo und Saylor White. Eine herrliche, typische Lyle-Lovett-Ballade, so weit, so groß, so schön wie Texas.
Fazit: Der Sonderling ist wie immer sein eigener Maßstab. Erneut eine Meisterleistung vom grandiosen Texaner.
Label: Lost Highway / Curb (Warner) | VÖ: 11. MAi 2012 |
Titelliste
01 | Garfield's Blackberry Blossom | 08 | Keep It Clean |
02 | Release Me | 09 | One Way Gal |
03 | White Boy Lost in the Blues | 10 | Dress of Laces |
04 | Baby, It's Cold Outside | 11 | The Girl With the Holiday Smile |
05 | Isn't That So | 12 | Night's Lullaby |
06 | Understand You | 13 | White Freightliner Blues |
07 | Brown Eyed Handsome Man | 14 | Keep Us Steadfast |