Spirituelles Familientreffen: "The Willie Nelson Family"
Im Falle von Willie Nelson bietet sich, wie man längst weiß, nicht nur traditioneller Country, sondern verschiedene Genres an. Doch trotz regelmäßiger Ausflüge in die Welt der Jazz- und American Songbook-Standards bleibt bei dem mittlerweile 88-jährigen Texaner natürlich traditioneller Country-Sound der Dreh- und Angelpunkt seines Schaffens. Vermutlich ist Willie Nelson heute der wichtigste und dazu prominenteste Nachlassverwalter der Traditionen, die er aber, fleißig und kreativ wie er ist, stetig mit neuen Impulsen auflädt. So ist er nach unzähligen Alben und noch mehr Live-Auftritten längst zu seiner eigenen Marke geworden.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass er bei "The Willie Nelson Family" vielleicht noch mehr Gefühl und Hingabe in seine Musik legt. Umgeben von seinen Liebsten läuft der nimmermüde Veteran jedenfalls erneut zu großer Form auf, wenn er sich an die Interpretation von eigenen Titeln oder von Cover-Versionen macht. Sehr intim das Ganze. So unmittelbar klingt das, dass man denken könnte, bei der Session dabei zu sein. Ach was: Session. Man meint, dass die sechs Nelsons einfach in einem Wohnzimmer gemütlich beieinandersitzen, und - nur so zum eigenen Spaß - ein paar ihrer Lieblingssongs zum Besten geben. Ein paar Auserwählte, Quasi-Familienmitglieder wie Mickey Raphael an der Harmonica und Kevin Smith am Bass, dürfen behutsam mitmischen.
"The Willie Nelson Family" ist auch ein Vermächtnis an Paul English, Willie Nelsons langjähriger und im Jahr 2020 verstorbener Drummer. Hier ist er nochmal zu hören, in den sehr getragenen, Gospel-orientierten Titeln "Heaven and Hell", "Kneel at the Feel of Jesus", "Laying My Burdons Down" und "Family Bible". Letzterer Song gehört übrigens zu den frühen Werken von Willie Nelson. Im Jahr 1957 hat er ihn geschrieben und ihn später an Paul Buskirk verkauft, vermutlich muss man sagen: verhökert. Dennoch sprang für den Track, den Claude Gray im Jahr 1960 auf Platz sieben der Country-Charts sang, immerhin genügend Kohle für Nelsons Umzug nach Nashville heraus. 1971 nahm er den seiner Großmutter gewidmeten Titel erstmals selbst auf - doch: diese neue Version entwickelt glatt noch einen stärkeren Song. Man spürt, wie eng Willie Nelson mit diesen Akkorden und Textzeilen verbunden ist.
Willie Nelson läuft zur Höchstform auf - mal wieder
Eine gewisse Sonderbehandlung erfährt im Verlauf des Song-Dutzends Sohn Lukas. Kein Wunder, er ist spätestens seit seinem Mitwirken in dem Hollywood-Hit "A Star is Born" selbst ein echter Musikstar. So ist es nur recht und billig, dass Lukas bei zwei Titeln die Lead-Vocals übernimmt. Bei der countryfizierten Version des George Harrison-Hits "All Things Must Pass" (textlich auch eine Art Gospel) und bei der Interpretation des A.P. Carter-Klassikers "Keep It On The Sunnyside". Bei dem unverwüstlichen, mittlerweile aber auch schon etwas überstrapazierten "I Saw The Light" von Hank Williams, dem Willie-Nelson-Original "I Thought About You, Lord" und dem Kris Kristofferson-Cover "Why Me" teilen sich Willie und Lukas Nelson den Leadgesang. Man spürt, man hört: Vater und Sohn sind mittlerweile auf Augenhöhe.
Fazit: Ein musikalisches Familientreffen der besonderen Art: Auf "The Willie Nelson Family" interpretiert der sechsköpfige Nelson-Clan Songs aus Willies-Backkatlog plus originelle Cover-Versionen. Lässig, intim, getragen und mit einem Schwerpunkt auf Gospel-Musik.
Label: Legacy (Sony) | VÖ: 12. November 2021 |
01 | Heaven and Hell |
02 | Kneel at the Feet of Jesus |
03 | Laying My Burdens Down |
04 | Family Bible |
05 | In The Garden |
06 | All Things Must Pass |
07 | I Saw The Light |
08 | In God's Eyes |
09 | Keep It on the Sunnyside |
10 | I Thought About You, Lord |
11 | Too Sick to Pray |
12 | Why Me |