In Deutschland wäre dergleichen unvorstellbar. Oder hält es jemand für wahrscheinlich, dass - sagen wir mal - Tom Astor, Klaus Doldinger und, okay, Lena gemeinsam auftreten? Eher steigt Johnny Cash aus seinem Grab, bevor das passiert. Warum? Weil in Deutschland einfach strenge Musiker-Kasten-Denke und lange Jahre gepflegte Berührungsängste und Vorurteile vorherrschen. Anders in Amerika. Hier blickt so gut wieder jeder Künstler über den Genrezaun - auch um immer wieder Gleichgesinnte aus anderen Stilrichtungen zu entdecken. Anstatt von Futterneid und Miesmacherei ist die Musikszene dort von hoher Professionalität und Kollegialität geprägt. Deshalb ist ein Gipfeltreffen wie "Here We Go Again - Celebrating the Genius of Ray Charles" auch eher Regel als Ausnahme.
Entsprechend launig und aufgekratzt gehen die Akteure bei dem Mitschnitt ihres Konzertes vom 9./10. Februar im Lincoln Center zu Werke. Zwölf Tracks bieten sie an. Darunter natürlich die größten Erfolge von Ray Charles, vor dem sich diese Star-Riege kongenial verneigt. Klar, Ray Charles. Posthum hat er auf "Here We Go Again: Celebrating The Genius of Ray Charles" Willie Nelson, Wynton Marsalis und Norah Jones hier also noch verkuppelt. Natürlich, schließlich war er als Grenzgänger zwischen Soul, Jazz und Country ein Pionier. Ein Wegbereiter, der anstatt auszugrenzen die Gemeinsamkeiten der verschiedenen musikalischen Ausdruckmöglichkeiten gesucht - und schließlich gefunden hat. Auch dieses Ensemble wird fündig.
Die Musik auf "Here We Go Again: Celebrating The Genius of Ray Charles"
Vor allem natürlich in der Country-Ballade "Cryin' Time", ein Rührstück das auf das Konto von HonkyTonk-Legende Buck Owens geht. Willie Nelson und Norah Jones interpretieren es in einem wundervollen Duett und sorgen ganz eindeutig für ein Glanzlicht der CD. Leider bleibt der Song neben Hank Snows "I'm Moving On" der einzige Country-Querverweis. Zumindest, was den Stammbaum der Titel betrifft. Andererseits muss ein Mann wie Willie Nelson nur den Mund aufmachen, schon verströmt er mit seiner näselnden, unverkennbaren Stimme pures Country-Feeling. Bei den artverwandten Gospel-Songs wie "Hallelujah I Love Her So" und "Busted" ist das nicht weiter verwunderlich. Doch auch wenn es sehr, sehr jazzig wird - wie beispielsweise bei der über fünfeinhalbminütigen Version von "Unchain My Heart" - bleibt die Erdung durch Big-Willie erhalten.
Trotzdem ist "Here We Go Again: Celebrating The Genius of Ray Charles" nicht unbedingt für die Ohren von Country-Puristen geeignet. Dafür sind die Arrangements zu sehr im New Orleans-Jazz verankert. Die überbordende Spielfreude der Band um Wynton Marsalis gipfelt manchmal in tosenden Sessions. Beispielsweise gegen Ende von "Losing Hand" und im Übergang zur anschließenden Ray Charles-Hymne "Hit The Road Jack". Das infernale Trompeten-Gewitter ist garantiert nicht jedermanns Sache. Zum Glück dauert es nicht allzu lange und Willie Nelson steigt ein, um dem Song die nötige Coolness und Harmonie einzusingen.
Lässiger und damit auch irgendwie angenehmer fallen dagegen nachfolgende Titel wie "I'm Moving On", das im Dreiviertel-Takt gehaltene "I Love You So Much (It Hurts)", der Rhythm & Blues-Shuffle von "Here We Go Again" und - darf natürlich nicht fehlen - das finale "What'd I Say" aus. Bei letzterem teilen sich erwartungsgemäß Nelson, Marsalis und Jones die Vocals - und machen damit klar, dass Qualität und Talent keine Genregrenzen zulassen.
Fazit: Sehr jazzig, manchmal auch etwas anstrengend, meistens aber ein echtes Hörvergnügen: "Here We Go Again: Celebrating The Genius of Ray Charles" ist ein Gipfeltreffen der besonderen Art, live ohne große Klangkosmetik auf Tonträger gebracht.
Label: Blue Note (EMI) | VÖ: 25. März 2011 |
01 | Hallelujah I Love Her So |
02 | Come Rain Or Come Shine (Feat. Norah Jones) |
03 | Unchain My Heart |
04 | Cryin' Time (Feat. Norah Jones) |
05 | Losing Hand |
06 | Hit The Road Jack (Feat. Norah Jones) |
07 | I'm Moving On |
08 | Busted |
09 | Here We Go Again (Feat. Norah Jones) |
10 | Makin' Whoopee (Feat. Norah Jones) |
11 | I Love You So Much It Hurts |
12 | What'd I Say (Feat. Norah Jones) |