Musikkenner werden schon beim Albumtitel wissen, wo es bei diesem Trip lang geht: in das Archiv des Great American Songbook. Schließlich steht der von Irving Berlin komponierte Titeltrack symptomatisch für das klassische amerikanische Liedgut - ein Song voller harmonischer Finessen. Ein Titel für Tagträumer und Nachteulen. Kein Wunder, dass sich an dem 1936 geschriebenen Klassiker zahllose Interpreten versucht haben. Einige von ihnen sind dabei grandios gescheitert. Einer wie Willie Nelson meistert natürlich die Herausforderung - indem er sich den Song einverleibt und ihn zu seinem eigenen Lied macht. Wie? Er reduziert das Werk auf seine substanziellen Akkorde und Melodien bis bloß noch die schiere Essenz übrig bleibt. Den Rest erledigen seine immer noch erstaunlich wackere Stimme und seine treue, ramponierte Gitarre "Trigger". Und natürlich - nicht zu vergessen - seine Tourband, die er liebevoll "The Family" nennt.
Nach diesem Strickmuster hat Big Willie alle 14 Titel eingespielt: entkernen, freilegen, neu aufladen. Eine Behandlung, die den allermeisten Tracks hörbar gut tut. Allemal "Twilight Time" von Al und Morty Nevins, Carl Perkins' "Matchbox" oder "I Wish I Didn’t Love You So" von Frank Loesser. Überraschendes gelingt dem letzten Outlaw des Country auch mit der Django Reinhardt-Komposition "Nuages". Ein komplexer, komplizierter Gipsy-Jazz. Mit einer wehmütigen Mundharmonika haucht er der Ballade die ganze Wehmut der Prärie ein. Ein klimperndes Klavier verstärkt das nostalgische Ambiente. Bei dem Jazz-Standard erweisen sich Nelson und Trigger (im Booklet spielt er übrigens nicht Gitarre, sondern "Trigger"!) als harmonisches Pärchen, das selbst raffinierte Harmonieklippen lässig umschifft.
Trotzdem möchte man nach den gut dreieinhalb Minuten Jazz aufatmen, wenn er mit "Marie (The Dawn Is Breaking)" fröhlichere Country-Klänge anschlägt.
Obwohl Nelson in seiner Karriere Hunderte, vermutlich Tausende von Songs geschrieben hat, steuert er zu "Let's Face The Music And Dance“ lediglich die todtraurige Ballade "Is The Better Part Over" bei. Er hat den Song bereits Ende der 80er Jahre komponiert. Wenn es so weitergeht, dann hatte man damals noch nicht das Beste von ihm gesehen/gehört - und heute auch noch nicht. Willie Nelson forever!
Fazit: Kein leises Alterswerk, sondern erneut ein souveräner, aber auch nostalgischer Kreuzzug durch die amerikanische Musikgeschichte. Der Mann ist längst über jede Kritik erhaben - und so klingt und spielt er auch.
Label: Legacy (Sony) | VÖ: 12. April 2013 |
Titelliste
01 | Let's Face The Music And Dance | 08 | I Can't Give You Anything But Love |
02 | Is The Better Part Over | 09 | I'll Keep On Loving You |
03 | You'll Never Know | 10 | I Wish I Didn't Love You So |
04 | Vous Et Moi | 11 | South of The Border |
05 | Walking My Baby Back Home | 12 | Nuages |
06 | Matchbox | 13 | Maria (The Dawn Is Breaking) |
07 | Twilight Time | 14 | Shame On You |