Denn Willie Nelson, der seine Roots freilich im Country verankert weiß, ließ sich in seiner viele Jahrzehnte andauernden Karriere dennoch nie nur auf dieses eine Genre reduzieren. Er flirtete mit Pop und Rock, er bediente kompetent das Jazz- und Bluegrass-Publikum und er erwies sich als einfühlsamer Interpret der klassischen Song-Literatur, des Great American Songbooks.
Größte Geburtstags-Sause ever: "Long Story Short: Willie Nelson 90: Live at the Hollywood Bowl"
In wie viele Musikströmungen der Kult-Musiker seine Fühler ausgestreckt hat, zeigt dieser opulente Konzertmitschnitt: "Long Story Short: Willie Nelson 90: Live at the Hollywood Bowl". Ein Live-Album der Superlative, aufgenommen an seinem - unglaublich - 90. Geburtstag im Hollywood Bowl von Los Angeles. Zwei Tage lang, gastierte Willie Nelson in der berühmten kalifornischen Location, am 29. April 2023 (seinem Geburtstag) und am darauffolgenden 30. April. Der unverwüstliche Veteran präsentierte an den beiden Tagen ein jeweils vierstündiges Programm - und er begrüßte dabei eine schier unfassbare Schar an Gratulanten: über 50 Stargäste aus verschiedenen Genres und Generationen. Sie huldigten ihm mit großartigen Performances und Duetten mit dem Jubilar. Man wäre gerne dabei gewesen, keine Frage. Denn diese All-Star-Gala und Geburtstags-Party in einem war, das scheint nicht übertrieben zu sein, ein Jahrhundertereignis. Auf CDs und Vinyl-Alben wurde es für die Nachwelt konserviert und aufbereitet - und steht jetzt, gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten, zum Verkauf und Streaming bereit.
Zum Auftakt holte sich Nelson einen der jungen Wilden auf die Bühne: Billy Stings, der gefeierte Bluesgrass-Rebell. Mit ihm stimmt er "Whiskey River" und "I Gotta Get Drunk" an, gefolgt von weiteren jungen Gesichtern: Charly Crockett ("Yesterday's Wine") und Orville Peck ("Cowboy's Are Frequently Secretely Fond of Each Other"). Nach diesen Auftakt-Songs wird es glamourös. Star-Power steht auf der Set-List: Edie Brickel & Charlie Sexton, der große Lyle Lovett (u.a. "Hello Walls"), Jazz-Diva Nora Jones, Kult-Produzent Daniel Lanois und der nicht minder kultige Dwight Yoakam, mit dem er das herrliche "Me And Paul" präsentiert, lassen die Dimension dieser Show erahnen.
Willie Nelson: 90 Jahre - und kein bisschen leise
So bunt gewürfelt geht es weiter. Während Beck und Dave Matthews aus dem Rock- und Pop-Fach entstammen, repräsentieren The Avett Brothers, The Lumeneers, Tyler Childers, Miranda Lambert und Chris Stapleton die verschiedenen Ausprägungen des heutigen Country-Sounds. Seine alte Freundin Sheryl Crow teilte sich (bei "Far Away Places") natürlich genauso gerne mit Willie Nelson das Mikrofon wie sein alter Wegbegleiter George Strait, mit dem er seinen Meilenstein-Song "Pancho & Lefty" aus dem Jahr 1972 anstimmte (im Original natürlich mit Merle Haggard).
Der Platz hier ist zu knapp bemessen, um auf alle Songs und Interpreten einzugehen. Aber ein paar müssen schon noch erwähnt werden: Zum Beispiel Neil Young und Stephen Stills, mit denen er "Are There Any More Real Cowboys?" köstlich interpretiert, oder "Midnight Rider", für das er sich Allman Brother-Gitarrist Warren Haynes holte, The Chicks, die sich bei "Bloody Mary Morning" die Ehre geben und ein gewisser Tom Jones, der bei "Opprtunity to Cry" beweist, dass er - wie Nelson - auch im vorgerückten Alter nicht zum alten Eisen gehört.
Der Star-Reigen ist mehr als beeindruckend und hält mit Grateful Dead-Mitbegründer Bob Weir, Jamey Johnson, Rosanne Cash und sogar Hip-Hopper Snoop Dogg weitere Hochkaräter aus unterschiedlichen Stilrichtungen bereit. Für einen der emotionalsten Momente der Gala sorgt das Duett mit seinem alten Highwaymen-Buddy Kris Kristofferson, mit dem er bei dessen Klassiker "Help Me Make It Through The Night" ein herrlich nostalgisches Duett bildet. Sein schönstes Geburtstagsständchen präsentiert er aber vielleicht mit Keith Richards. Mit dem Stones-Urgestein knurrt er das trotzige "Live Forever" - so großartig, so hingebungsvoll und so bewegend, dass sich binnen weniger Takte eine Gänsehaut nicht verhindern lässt. Ja, bitte, live forever, Willie! Wir freuen uns jetzt schon auf die Geburtstags-Sause zum 100.!
Fazit: Willie Nelson feiert seinen 90. Geburtstag mit einer All-Star-Riege, die sich gewaschen hat: "Long Story Short: Willie Nelson 90: Live at the Hollywood Bowl” - ein Musik-Dokument der Superlative.