Auch musikalisch ist Miranda Lambert keine der stromlinienförmigen Gesangs-Beauties, wie sie Nashville gerade reihenweise bereithält. Lambert ist ernster, ernsthafter, bodenständiger, aber auch lustiger und kreativer. Kurz: mehr den Wurzeln der Countrymusik zugetan, als viele ihrer Kolleginnen. Und sie wagt immer wieder Neues - wie zum Beispiel mit ihren zwei Freundinnen von den grandiosen Pistol Annies. Doch natürlich kann auch sie nicht die Gesetze des Marktes ignorieren. Deshalb hält die üppig mit 16 Titeln bestückte, von Frank Liddell, Chuck Ainlay und Glenn Worf produzierte CD auch den einen oder anderen Mainstreamsong fürs Radio-Format bereit.
"Platinum" bietet echte Fan-Vollbedienung, zeigt die vielen verschiedenen Facetten dieser interessanten Künstlerin. Wie in den vielen Coverfotos ist die blonde Beauty mal in feierliche Abendgarderobe, mal im über dem Nabel geknoteten Holzfällerhemd, mal wieder in glitzernden Hot-Pants und Waylon Jennings-T-Shirt und ein andermal im kessen 50ies-Look mit Haarband und Silberstiefeln zu sehen. Diese verschiedenen Outfits stehen für verschiedenen Stilrichtungen und Klangfarben: Für schmissigen, gute Laune verbreitenden RocknRoll ("Priscilla"), traditionell eingefärbten Country ("Hard Staying Sober"), sonnendurchfluteten Country-Pop ("Another Sunday In The South") und krachenden Rock ("Two Rings Shy"). Für die erste Single-Auskopplung wählte Lambert einen ruhigen, eher introvertierten Track – das von der Kritik hochgelobte, mir herrlichen Refrain-Melodien bestückte "Automatic".
Erstaunlicherweise gibt die geschmeidige Sängerin in allen Fahrwassern eine mehr als überzeugende Figur ab. Stimmgewaltig macht sie jeden Track zu ihrem ureigenen Song - eine Qualität, die alle Großen auszeichnet. Welches Standing die kecke Blondine in der Country-Gemeinde genießt, wird auch in den diversen Gastauftritten dieser CD deutlich. Beim melodisch schmucken Pop von "Smokin' And Drinkin'" stehen ihr die vier von Little Big Town mit erlesenen Harmony-Vocals zur Seite, beim grandios flotten und ganz auf Roots getrimmten Honky-Tonk "All That’s Left" sind es die angesagten Time Jumpers um Vince Gill (ein Highlight der CD!) und bei "Somethin' Bad" setzt es ein rockendes, rappendes, lärmendes Blondinen-Doppel mit Carrie Underwood.
So bleibt Miranda Lambert auch auf ihrem sechsten Album eine Sängerin, die immer für eine Überraschung gut ist; eine Künstlerin, die es liebt zu überraschen, die Risiken eingeht und letztlich glänzend unterhält. Wer wissen möchte, wo Frau Shelton ihre musikalische Heimat hat, sollte sich den vielleicht unspektakulärsten Song des Albums genauer anhören: das romantische "Holding On To You". Wer sie hier mit Seele und Hingabe singen hört, wird es nicht für möglich halten, dass sie auch anders kann. Ganz anders.
Fazit: Unter allen Blondinen Nashvilles ist Miranda Lambert die beste und talentierteste. Augenzwinkernd flirtet sie mit verschiedenen Sounds und Songs und präsentiert dabei so manche Gaststar-Überraschung. Klasse Album!