Angeblich, so heißt es im Platteninfo, habe Charles Kelley im Winter 2014 Produzent Paul Worley in dessen Studio aufgesucht. Er hatte ein paar Songideen mitgebracht. Stoff für Sessions, die der bärtige Schlacks mit der sanften Stimme einfach mal aufnehmen wollte. Ende: offen. Es hätten Demos werden können, Songs für das nächste Lady Antebellum-Album, Titel für andere Künstler. Oder aber: Material für das erste Solo-Album des Platin-verwöhnten Lady-Antebellum-Sänger. Charles Kelley entschied sich für letztere Option. Und das ist auch gut so. Denn das natürlich von Paul Worley - er war auch für den Lady-Antebellum-Meilenstein "Need You Now" verantwortlich - produzierte Album "The Driver" zeigt den Sänger, Songschreiber und Multiinstrumentalisten von bisher unbekannten Seiten. Was aber nicht heißen soll, dass der eine oder andere Titel von "The Driver" nicht auch für das millionenschwere Trio geeignet gewesen wäre.
Vielleicht gleich mal der Opener "Your Love". Zumindest schwingt in der hymnisch-eingängigen Refrain-Melodie dieser bestimmte Hit-Zauber mit, der Lady Antebellum zum heißesten Nashville-Act des neuen Jahrtausends gemacht hat. Andererseits ist das ein echter Männer-Song: rau, rockig, fordernd, testosteronhaltig; mit handfesten Gitarrenriffs, einem pumpenden Bass und Voll-auf-die-Zwölf-Drums. Wer wissen möchte, wie die Symbiose aus Mainstream-Rock und Country klingen kann, bekommt mit dem über vierminütigen Track erstklassigen Anschauungsunterricht. Kurzum: Der Einstieg in die Solo-Karriere von Charles Kelley ist mit diesem, von Abe Stoklasa und Ashley Ray geschriebenen Song vollauf geglückt.
Mit "The Driver" präsentiert Charles Kelley neue Töne
Dass Charles Kelley mit "The Driver" aber auch mal in anderem, weniger glattem, weniger geschmeidigem Terrain unterwegs ist, wird schon im nachfolgenden Titeltrack deutlich: eine wehmütige Ballade im Dreivierteltakt - über das Musiker-Leben auf der Straße. Es geht um Musiker, Roadies, Truckdriver; um Träume und Ziele, um Reisen und Ankommen. Für den von Charles Kelley gemeinsam mit Eric Paslay und Abe Stoklasa geschriebenen Titel konnte der 34-Jährige aus Georgia mit Dierks Bentley und Eric Paslay zwei exzellente Chorknaben um sich scharen. Wenn die drei zum Songende mal eine A-Capella-Kostprobe geben, ist akute Gänsehaut-Gefahr geboten!
Dieses Level vermag das anschließende "Dancing Around It" nicht ganz halten. Wobei aber auch dieser etwas düster herunter gedimmte Song mit seinen schwermütigen Melodien und einer souligen Gitarre seinen eigenen Reiz hat. Letztendlich aber ist es ein Titel, den man von dem Lady-Antebellum-Sänger erwarten durfte. Was keinesfalls für "Southern Accents" gilt. Immerhin handelt es sich dabei um einen Song aus der Feder von Tom Petty - und immerhin teilt sich Charles Kelley bei dieser schwerblütigen Southern-Rock-Ballade das Mikrofon mit Fleetwood-Mac-Sirene Stevie Nicks. Kann da was schiefgehen? Natürlich nicht. Der Song strahlt und funkelt wie die untergehende Sommersonne über einer Südstaaten-Interstate.
Charles Kelley ist vom 70er Rock geprägt
Charles Kelley ist, das sagt er, stark vom Southern-Rock der 70er geprägt. Vielleicht überhaupt von den 70ern, von Blues-Rock-Bands, wie den Stones. Der Verdacht liegt jedenfalls nahe, hört man das so lässig hingeschwurbelte "The Only One Who Gets Me". Charles Kelley schrieb diese Ode an den Retro-Sound gemeinsam mit Songwriter-Größe Nathan Chapman - und er singt sie einfach großartig. Dieser genauso ruppige wie betörende Titel wäre auf einer Lady-Antebellum-CD ziemlich undenkbar. Das gilt wohl auch für das verhaltene, ganz in der Singer-Songwriter-Tradition angesiedelte "I Wish You Where Here", bei dem ihm die wunderbare Miranda Lambert zur Seite steht. Auch "Leaving Nashville", der letzte Titel von "The Driver", tanzt mit reduziertem Arrangement, mit sparsamem Klavier und etwas Geigen-Staffage aus der Lady Antebellum-Reihe - und überzeugt dennoch. Oder genau deshalb. Je nach Sichtweise.
Bei "Lonely Girl" aber kann Charles Kelley dann doch nicht seinen musikalischen Stammbaum verbergen. Der Titel hat einfach alles, was Lady Antebellum auszeichnet, nicht zuletzt beträchtliches Hitpotential. Erstaunlicherweise sind Jesse Frasure und der wilde Chris Stapleton für den vielleicht stromlinienförmigsten Track der "The Driver"-CD verantwortlich. Was fehlt noch? Ach ja, "Round In Circles". Den putzigen, aber auch harmlosen Pop-Titel hat Charles gemeinsam mit seinem Bruder Josh Kelley erfunden. Kein Glanzlicht, aber auch kein Fehlschlag.
Fazit: Mit "The Driver" left Charles Kelley ein solides aber auch cleveres Solo-Debüt hin: nah am Lady Antebellum-Sound - aber weit genug weg, um Neues zu bieten.
Label: Capitol Nashville (Universal) | VÖ: 12. Februar 2016 |
01 | Your Love |
02 | The Driver (mit Dierks Bentley und Eric Paslay) |
03 | Dancing Around It |
04 | Southern Accents (mit Stevie Nicks) |
05 | Lonely Girl |
06 | The Only Ones Who Gets Me |
07 | Round in Circles |
08 | I Wish You Were Here (mit Miranda Lambert) |
09 | Leaving Nashville) |