Zumindest nicht, wenn man eine Ader für super-reduzierten Folk, Country und Americana hat. Wenn man Songs liebt, die Stories erzählen, die so grundehrlich von Herzen kommen, dass kein Lügendetektor den Hauch einer Chance hätte. Miranda Lambert und ihre zwei Weggenossen Jack Ingram und Jon Randall haben sich für das Album zum rudimentärsten Aufnahmekonzept überhaupt entschieden: pures Recording. Alles live. Keine Overdubs, keine Kosmetik. Fast genauso, wie es ihre historischen Vorgänger 1927 in Bristol, Tennessee, gemacht und damit die Geburt der Country Music eingeläutet haben. Wie es heißt, seien Aufnahmen von "The Marfa Tapes" sogar draußen in freier Natur, am knisternden Lagerfeuer entstanden. Hee-Haw! Jimmie Rodgers hätte seinen Hut gezogen.
Miranda Lambert feat. Jack Ingram & Jon Randall: Back to the Roots!
Natürlich ist das nicht nur ein anachronistischer, sondern auch ein sehr romantischer, vielleicht sogar weltfremder Ansatz, den die drei renommierten und erfolgreichen Country-Stars für "The Marfa Tapes" gewählt haben. Ein Ansatz, der auch das Reisen an einen anderen Ort beinhaltet.
Marfa ist ein kleines Örtchen im Süden von Texas, unweit der mexikanischen Grenze entfernt. Unter Insidern gilt das Prärie-Städtchen als hip. Hierhin haben sich die drei aufgemacht, um in fünf Tagen gemeinsam Songs zu schreiben und diese gleich an Ort und Stelle aufzunehmen. Laut Lambert sei genau der Effekt eingetreten, den sie sich erhofft haben: etwas Magisches. Etwas, das sich in der doch eher kühlen Studio-Umgebung nur schwer bis gar nicht herstellen lässt. Lambert gibt des Weiteren zu, dass sie selbst nicht gedacht hätte, so etwas "Raues" jemals herauszubringen. Doch: "Es wäre nicht fair gewesen, diese Songs in einer anderen Form zu veröffentlichen."
Deshalb ist "The Marfa Tapes" auch mehr als eine weitere Künstler-CD. Es ist ein Tondokument, auf dem sich immer wieder Gesprächsfetzen, Kommentare, hier und da ein Lachen, ein Räuspern oder Umgebungsgeräusche einschleichen - und damit die Aufnahmen nur noch authentischer und intimer machen.
Nicht jedem Act ist so eine Vorgehensweise zu empfehlen. Doch Miranda Lambert, die zweifache Grammy-Gewinnerin, Jack Ingram, der angesehene Sänger, Songschreiber und Gitarrist und dazu Jon Randall, der mehrfach Grammy-nominierte Produzent, Songwriter und Gitarrist nehmen diese hohe künstlerische Hürde. Mit Bravour natürlich, wie sich schon im Opener "In His Arms" andeutet. Klar, in diesem Line-Up ist im Grunde nur reduzierter Folk, Country und Americana möglich - und genau das servieren die drei in den 15 Tracks von "The Marfa Tapes". Traditionelles Recording, traditionelle Instrumentierung, traditionelle Themen, aber in erlesener Qualität.
Dass Miranda Lambert nicht bei allen Songs die Lead-Vocals übernimmt, zeigt sich schon im nächsten Song, in der wunderbaren Ballade "I Don't Like It". Gut so, denn Jack Ingram kann, auch wenn er längst nicht den Status von Miranda Lambert hat, als Sänger vollauf überzeugen. Die schönsten Momente der Roots-CD bieten sich allerdings, wenn sie alle drei gemeinsam singen. Ihre Stimmen fügen sich nicht nur in dem launigen "Am I Right or Amarillo" so harmonisch wie die Teilchen eines Puzzles zusammen.
"The Marfa Tapes" erinnert an die Ursprünge der Country Music
Gelegentlich verlassen die drei auf "The Marfa Tapes" die geschmeidigen Folk- und Country-Pfade, um etwas ruppigere oder auch komplexere Töne vorzutragen: Bei "Geraldene" streuen Ingram und Randall herzhafte Blues-Akkorde ein, beim anschließenden, von Jack Ingram in bester Willie Nelson-Manier gesungenen "We'll Always Have The Blues" ebenso und beim gut aufgelegten "Two-Step Down to Texas" packen sie sogar leicht vertrackte Jazz-Akkorde aus.
Am Beeindruckendsten aber ist die CD, wenn sie ihren romantischen Gefühlen freien Lauf lassen und wie in "Tin Man" und "Anchor" eine stimmungsvolle Ballade anstimmen. Da lässt sich dieser besondere Geist von "The Marfa Tapes" am besten nachspüren. Mit "Amazing Grace (West Texas)" beenden die drei ihren beseelten Trip in die texanische Prärie so gefühl- und hingebungsvoll, wie man es sich nur wünschen kann.
Fazit: Miranda Lambert feat. Jack Ingram & Jon Randall machen sich auf "The Marfa Tapes" zu einem Trip nach Südtexas auf, um ein rudimentäres Country- , Folk- und Americana-Album aufzunehmen. Ein so mutiges wie gelungenes Experiment.
Label: RCA Nashville (Sony) | VÖ: 7. Mai 2021 |
01 | In His Arms |
02 | I Don't Like It |
03 | The Wind's Just Gonna Blow |
04 | Am I Right or Amarillo |
05 | Waxahachie |
06 | Homegrown Tomatoes |
07 | Breaking a Heart |
08 | Ghost |
09 | Geraldene |
10 | We'll Always Have the Blues |
11 | Tin Man |
12 | Two-Step Down to Texas |
13 | Anchor |
14 | Tequila Does |
15 | Amazing Grace (West Texas) |