Wer sich die Playlist der 16 Songs seiner neuen CD genauer ansieht, wird sich vermutlich etwas wundern. Vor allem seine altgedienten, treuen Fans, seine Bewunderer aus seinen frühen Tagen, als Keith Urban 1992 von Australien nach Nashville ging, um sein Glück als Country-Musiker zu versuchen. Nun, wie wir alle wissen, hat er das ja reichlich perfekt hinbekommen. Mehr noch: Mit seinem unverkennbaren Crossover aus Country, Pop und Rock gehört der blonde Musiker zu den einflussreichsten Bauherren des neuen, stilübergreifenden Nashville-Sounds. Grenzen oder Berührungsängste? Nicht mit ihm!
Keith Urban - einer der Bauherren des neuen Nashville-Sounds
Deshalb startet er in "The Speed of Now, Part 1" gleich mal mit einem, sagen wir mal, Paukenschlag. So präsentiert er in dem Opener "Out The Cage" gleich zwei illustre Stargäste: den durch sein Duett mit Sam Hunt bekannt gewordenen Sänger und neuen Überflieger Breland und - man höre und staune - den Gitarristen, Produzenten und Mitbegründer des 70er-Disco-Sounds und Chic-Frontman Nile Rogers. Dass beide Künstler afroamerikanischer Abstammung sind, ist sicher kein Zufall, sondern ein Statement - ein Song-gewordener "Black Lives Matter"-Moment. Bravo, Keith! Schließlich haftet dem Country-Genre in gewissen Kreisen immer noch ein dumpfbackiges Redneck-Image an.
"Mit "Out The Cage" und Nile Rogers und Breland in ein Album zu starten ist aber auch noch ein weiterer Hinweis: Dass Keith Urban längst im globalen, urbanen Show-Business angekommen ist. In einer Welt, in der alles, was Erfolg verspricht erlaubt ist, in der Limitierungen keinen Platz haben. So nebenbei macht er mit dem Track auch deutlich, dass ihm der Sinn gerade mehr nach Rock und Pop steht, als nach Country. Vor allem, da er sich im nachfolgenden Track "One Too Many" mit einer komplett Country-unverdächtige Künstlerin das Mikro teilt: Pop-Wuchtbrumme Pink. Hätte er beide Kooperationen irgendwo im Mittelteil oder gegen Ende der 16 Tracks starken CD versteckt, wäre das immer noch eine Schlagzeile wert. So aber ist es: eine klare Ansage.
Auf den hinteren Plätzen, genau genommen im letzten Song "We Were" stellt Keith Urban seinen vierten hochkarätigen Gast vor: Eric Church. Wer möchte, kann auch das werten. Wer nicht, darf sich über eine wunderschöne Ballade mit klasse Gitarren-Solo freuen. Urban und Church - eigentlich ein Duo, das optisch nicht so recht zusammengehen mag. Hier Keith, der glatte, verträumte Schönling, dort Eric, der ruppige Dreitagebart-Ray-Ban-Rocker. Doch wie so oft, hat die Kombination aus Gegensätzlichem seinen ganz besonderen Reiz: die beiden harmonieren jedenfalls vortrefflich. "We Were" gibt es auf "The Speed of Now, Part 1" übrigens auch noch in der Solo-Akustik-Version zu hören. Auch in diesem Outfit kann der gefühlvolle Song, bei dem Eric Church als Co-Autor fungierte (und den Song übrigens schon 2019 veröffentlichte), voll und ganz überzeugen.
Perfektes Crossover: "The Speed of Now, Part 1"
Zwischen den beiden Gaststar-verzierten Polen der CD gibt es Keith Urban pur. Und damit einen dynamischen, klanglich auf Hochglanz gewienerten, ganz auf Airplay getrimmten Mix aus den so angesagten, wie für ihn typischen Zutaten. Manchmal hat man das Gefühl, dass er den Roots-Sound schon heute für die Zukunft aufbereiten möchte. Man nehme nur den Titel "Tumbleweed", ein urtypisches, höchst traditionelles Motiv; das er aber mit spacigem Banjo, sattem Groove und glitzernden Sounds in eine High-Tech-Country-Welt überführt. Hit-Prognose? Top! Das gilt auch für "Superman". Bei dem, gemeinsam mit Songwriter-Fürst Craig Wiseman geschriebenen Song greift Keith Urban erneut die Rassenproblematik auf, verpackt das heikle Thema aber in unwiderstehlich fröhliche Pop-Töne und -Rhythmen.
Wie es heißt war "The Speed of Now, Part 1" angeblich schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie weitgehend fertig gestellt. Urban hat auf Grund der Ausnahmesituation das Album neu konzipiert und mit neuen Inhalten versehen. Ergebnis dieses Prozesses dürften nachdenkliche Balladen wie "Change Your Mind" und "God Whispered Your Name" sein. Im letzteren Track findet Urban den gemeinsamen Nenner von Gospel, Blues und Pop und erschafft damit einen großartigen, geradezu spirituellen Song.
Doch keine Sorge, Leute. Natürlich bleibt Keith Urban auch trotz Corona und politischer Probleme ein Sunnyboy wie aus dem Bilderbuch. Nicht nur das fingerschnippende, partytaugliche und mit Karibik-Feeling aufgeladene "Polaroid" liefert dafür den klingenden Beweis.
Fazit: Star-Gäste wie Pink und Eric Church, viel Pop, aber vor allem 100 Prozent Keith Urban. "The Speed of Now, Part 1" bietet in 16 Titeln das perfekte Fan-Futter.
Label: Capitol Nashville (Universal) | VÖ: 18. September 2020 |
01 | Out The Cage (mit Breland & Nile Rogers) |
02 | One Too Many |
03 | Live With |
04 | Superman |
05 | Change Your Mind |
06 | Forever |
07 | Say Something |
08 | Soul Food |
09 | Ain't It Like A Woman |
10 | With You |
11 | Tumbleweed |
12 | God Whispered Your Name |
13 | Polaroid |
14 | Better Than I Am |
15 | We Were |
16 | We Were (mit Eric Church) |