Bereits beim Opener "Fly" spürt man, dass Lee Ann Womack (wie immer) mit enorm viel Leidenschaft bei der Sache ist. Mit ihrer unheimlich ausdrucksstarken Stimme verleiht die Sängerin dem Song eine Dimension der Melancholie, wie man sie früher bei Dolly Parton oder Tammy Wynette fand. "Fly" handelt von Verlust, von Schmerz und von dem Wunsch, wie die Engel bei dem Verstorbenen sein zu dürfen - ein emotional anspruchsvoller Auftakt, den Womack mit Bravour meistert. Wie vielseitig die Grammy-Award-Gewinnerin ist, zeigt sich gleich im Anschluss bei "All His Saints". Ein grooviger Titel - reich an Soul, Blues und Folk - der ein wenig an Reba McEntires Version von "The Night the Lights Went Out in Georgia" erinnert. Stark! Und um den Spannungsbogen zu komplettieren, gibt es dann mit "Chances Are" noch eine waschechte Country-Ballade zu hören, die gekonnt eine wohlige Schwere suggeriert und an die glorreichen Klänge der 60er und 70er Jahre erinnert.
Wer nach diesem abwechslungsreichen Auftakt nach mehr lechzt, wird in der Folge garantiert nicht enttäuscht. Der Titeltrack "The Way I'm Living" besticht abermals durch einen markanten, erdigen und durchaus flotten Country-Sound. Besonders erwähnenswert ist auch die großartige musikalische Inszenierung, inklusive Streichern. Eine weitere Steigerung bietet "Don't Listen to the Wind", das eine fast schon mystische Atmosphäre erzeugt und einem einfach nicht mehr aus dem Kopf will. Einer der herausragenden Glanzpunkte des Albums! "Sleeping with the Devil", "Not Forgotten You" und "Tomorrow Night in Baltimore" runden die Auswahl an Songs der gesteigerten Gangart ab, und überzeugen dabei mit klassischem Sound und wohl durchdachten Melodien. Aber auch Freunde großer Balladen kommen noch einmal bei "Send It On Down" voll auf ihre Kosten. Eine spärliche, aber perfekt abgestimmte Begleitung durch Klavier, Gitarre, Bass und Steel Guitar bereitet die Rahmenbedingungen für Womacks wohlige Stimme, die für pure Gänsehaut-Atmosphäre sorgt. Ähnlich eindringlich ist "Nightwind", in dem das beeindruckende Sangesorgan der Sängerin erneut voll zur Entfaltung kommt.
Kaum jemand kann Schmerz und Schwermut so schaurig-schön verpacken wie Womack, das wird mit jedem Track deutlicher. Da ist man beinahe geschockt, wenn mittendrin plötzlich mit "Same Kind of Different" ein Song mit einer positiven Botschaft aus der Reihe tanzt. Von einem zarten Anfang entwickelt sich die bedächtige Nummer in ein melodiöses Feuerwerk, das keinen Zuhörer kalt lassen dürfte. Apropos nicht kalt lassen: Womacks Interpretation des Neil Young Songs "Out on the Weekend" trieft nur so vor Hingabe und großen Gefühlen. Selbiges lässt sich auch über die eingängige Midtempo-Nummer "When I Come Around" sagen, die nach 46 Minuten einen würdigen Schlusspunkt setzt.
Fazit: Lee Ann Womack meldet sich mit "The Way I'm Living" nach sechs Jahren Abstinenz eindrucksvoll zurück. Ein abwechslungsreiches Album mit emotionalem Tiefgang, großen Melodien und einer der besten weiblichen Stimmen im Country-Music-Business.