Karr und Crowell haben sich, wie sie in den Liner-Notes beschreiben, offenbar zwar nicht gesucht, aber dann doch irgendwie gefunden. So unterschiedlich ihre Jugend, ihre Herkunft, ihr Background auch war, so viele Gemeinsamkeiten hätten sie dennoch. Der gegenseitige Respekt für die künstlerischen Leistungen des jeweils anderen bildet die Basis für dieses höchst ungewöhnliche Duo.
Klar, das ist nicht Mainstream. Das ist nicht das Futter für die 2.000 Country-Stationen in Amerika. Das hat nicht einmal große Chancen, in den Charts aufzutauchen. Dafür aber werden KIN vom Feuilleton geliebt werden, aber auch von allen, die mit anspruchsvollen, intensiven, größtenteils akustischen Country-, Americana- und Folk-Songs etwas anfangen können.
Den Auftakt besorgt Rodney Crowell höchst selbst als Interpret. "Anything But Tame", ein recht temperamentvoller Song, der sich von Takt zu Takt steigert und dann in einem wunderbaren Refrain seine Auflösung findet. Starker Beginn! Mit noch stärkerem Nachfolger: "If The Law Don’t Want You", mit Norah Jones hinter dem Mikro. Mary Karr sagt dazu: "Sie war großartig, sie hat mich hypnotisiert." Und sie liefert in dem ruhigen, sehr melodiösen Titel tatsächlich eine hypnotisierende Performance ab - vielleicht die beste Leistung der Jazz-Country-Sängerin seit langem.
Dieses Qualitätslevel hält natürlich ein Mann wie der nachfolgende Vince Gill. Klar doch. Und auch klar, dass er hier mit dabei ist. Angeblich war das Budget für diese Produktion nicht besonders hoch, doch Vince Gill ist - neben seinen vielen Talenten - auch ein Idealist und dazu ein gutmütiger Mensch, der niemandem eine Bitte abschlagen kann. Sein Mitwirken auf diesem Album mit der herrlich nostalgischen Country-Ballade "Just Pleasing You" wird und kann er nicht bereuen: ein Glanzlicht der CD.
Das setzt, mit anderen Stilmitteln, auch Lucinda Williams. Auch sie ist, für ein anspruchsvolles Projekt wie dieses, eine gesetzte Größe. Auch sie erfüllt alle Erwartungen. In der todtraurigen, nur sparsam arrangierten Ballade "God I'm Missing You" läuft sie mit brüchiger Stimme zur Höchstform auf. Man glaubt ihr jedes Wort. Jede grandiose Metapher.
Bevor einem die Tempo-Taschentücher ausgehen, schlägt der nachfolgende Rodney Crowell zum Glück wieder etwas temperamentvollere und nicht ganz so moll-gefärbte Töne an: "I'm A Mess" - aber er nimmt’s hörbar mit Humor. Es kommt gute Laune auf. Und "Momma's On A Roll" mit der grandios singenden Lee Ann Womack setzt glatt noch einen drauf: Ein exzellenter Song, der aus dem Spannungsverhältnis aus traurigem Text und unbekümmerten Melodien lebt. Ein wundervoller Countrysong. Lee Ann Womack klingt in den hohen Passagen dabei fast so engelhaft wie Alison Krauss. Mehr muss man über ihre Performance nicht sagen.
Langsam gehen einem die Superlative aus. Denn auch "Sister Oh Sister", interpretiert von Crowells Ex-Frau und Johnny-Tochter Rosanne Cash, kann man nur in den höchsten Tönen loben. Erneut ein wundervoller Country-Folk-Track, mit intelligenten Lyrics, prächtigen Harmonien und einem über jede Kritik erhabenen Gesang. Hinhören, aufpassen, schmelzen. So schön kann Countrymusik sein.
Für das Finale sind dann noch Crowell im Tandem mit Legende Kris Kristofferson ("My Father’s Advice" - mit Irish-Folk-Elementen), Emmylou Harris ("Long Time Girl Gone By" - leise, spröde) und noch einmal Rodney Crowell ("Hungry For Home") zuständig.
Fazit: Ungewöhnlich, ambitioniert, spröde – und großartig! Ein literarisches Country-Experiment, das mit jedem Song zündet.
Label: Vanguard (EMI) | VÖ: 1. Juni 2012 |
Titelliste
01 | Anything But Tame (Rodney Crowell) | 06 | Momma's On a Roll (Lee Ann Womack) |
02 | If the Law Don't Want You (Norah Jones) | 07 | Sister Oh Sister (Rosanne Cash) |
03 | Just Pleasing You (Vince Gill) | 08 | My Father's Advice (Rodney Crowell & Kris Kristofferson) |
04 | God I'm Missing You (Lucinda Williams) | 09 | Long Time Girl Gone By (Emmylou Harris) |
05 | I'm a Mess (Rodney Crowell) | 10 | Hungry for Home (Rodney Crowell) |