Schon damals, als er 1990 mit dem Album "Here In The Real World" die Bildfläche betrat, galt der Jungspund als Neo-Traditionalist. Klar, er konnte auch rocken. Klar, er hatte auch, wenn nötig, den Blues. Doch letztendlich ließen sich alle seine Tracks auf die Formeln und Aussagen klassischer Country Music reduzieren. Tja, er lebt und liebt diese Musik. Mit allen seinen Facetten und Ausprägungen.
Alan Jackson bietet Country pur - in top Qualität
Nur so nebenbei gefragt: Wann hat man den blonden Schnauzbart das letzte Mal ohne seinen Stetson gesehen? Manch einer munkelt, dass Jackson mit dieser Kopfbedeckung 1958 schon zur Welt gekommen sei. Gut, das darf bezweifelt werden. Nicht aber, dass er sich zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Karriere korrumpieren oder gar von irgendwelchen Moden verführen lassen hätte. Kein Wunder, dass Alan Jackson mit dem Titeltrack und Opener "Where Have You Gone" nicht auf eine verschwundene Liebschaft oder auf einen untergetauchten Freund abzielt, sondern: auf die gute, alte, ehrliche Country Music. Jenen Sound, der gut ohne tonnenschwere Drums, verzerrte Gitarren und Rap-Einlagen auskommt - für den aber Fiddle, Pedal-Steel und gefühlvolle Harmonien unverzichtbar sind.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich dieser edle Ritter der Tradition über den Ausverkauf der Roots-Klänge beschwert. Schon 1999 stimmte er, gemeinsam mit George Strait, den unmissverständlichen Song "Murder On Music Row" an. Hat's was gebracht? Klar, tobenden Applaus von Gleichgesinnten. Aber sonst? Natürlich nicht. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Stillstand, so rechnet man auch an der Music Row, ist Rückschritt. Es muss sich was drehen, es muss was passieren: Neues, Ungehörtes, vielleicht sogar Spektakuläres.
Für all' das steht Alan Jackson ausdrücklich nicht! Oder anders gesagt: Er steht genau für das Gegenteil von "Neues" und "Unerhörtes". Er will das Country-Rad nicht neu erfinden, sondern dem Genre "nur" neue, gute Songs beisteuern. Genau das macht er. Laut einem Interview mit dem amerikanischen Rolling Stone, sei "Where Have You Gone" sogar sein bisher authentischstes Country-Album. Man darf ihm glauben, selbst ohne auch nur einen einzigen Song des 21 Titel zählenden Albums gehört zu haben. Nach intensivem Hördurchgang darf man bilanzieren: der Mann hat absolut Recht! "Where Have You Gone" ist zu 100 Prozent Country, zu 100 Prozent frei von Moden-, Hypes- und sonstigem Gimmick. Nur Songs mit ehrlichen, ungekünstelten Texten und Songs, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit reichen.
"Where Have You Gone": Alan Jackson vermisst die traditionelle Country Music
Obwohl Alan Jackson schon immer ein großartiger Balladensänger war, fällt auf, dass viele Songs in Moll angelegt, langsam und von Melancholie geprägt sind. Titel wie "I Can Be That Something", "Way Down In My Whiskey" zeigen den Sänger und Songwriter - 15 der 21 Songs stammen aus eigener Feder - von seiner nachdenklichen, mitunter auch wehmütigen Seite. Er kann das. Er weiß, wann er sich etwas zurücknehmen muss, um nicht unglaubwürdig oder gar kitschig zu klingen. Selbst in den zwei persönlichsten Songs des Albums: "You'll Always Be My Baby", das er für die Heirat seiner Tochter geschrieben hat, und in "Where Her Heart Has Always Been", das er für seine verstorbene Mutter schrieb. Es sind berührende Momente, die Jackson hier sorgfältig einfängt und ungekünstelt beschreibt. Hm, da muss man schon erst mal schlucken...
Doch so ganz ist der Typ, der einst im Video zu "Summertime Blues" mit einem Buggy durch Flüsse und Sumpfgebiete gedonnert ist - und dabei vermutlich ganze Frosch- und Salamander-Kolonien ausradiert hat - noch nicht verschwunden. Nein, diesen übermütigen Alan Jackson gibt es noch. Aber er macht sich rarer als früher. Wenn er sich aber blicken und hören lässt, bringt er immer noch die Leute zum ausflippen. Man nehme nur das kräftig im Country-Blues rockende "Chain", den hochdestillierten Country-Rock "Back" (mit einem inspirierten Brent Mason an der Gitarre), die fröhliche, im Drei-Vierteltakt gehaltene Ode vom Redneck und seiner Luxus-Lady "I Was Tequila" (...and she was Champagner) oder das wuchtige, mit Bläsersatz aufgemotzte Liebeslied an den Gerstensaft - "Beer".
Hier erinnert er an seine eigene Version aus sorglosen Tagen, wie es scheint. Vielleicht aber ist dieser ruhigere und nachdenklichere Alan Jackson einfach auf sein mittlerweile vorgerücktes Alter von 62 Lenzen zurückzuführen. Etwas altersweise gibt sich der 1,93 Meter große Country-Star jedenfalls: in Songs wie in den gefühlvollen Eigenkompositionen "I Do", "Write It In Red" und "A Man Who Never Cries". Und auch in den raren Fremdkompositionen greift er zu Titeln mit klarer Selbstreflexions-Message: "Things That Matter" (aus der Feder seines Produzenten Keith Stegall und Michael White) und vor allem bei "The Older I Get". In dieser im Bluegrass-Outfit eingespielten Country-Ballade (geschrieben von Hailey Whitters, Adam Wright und Sarah Turner) berichtet Jackson vom Älter- und Vernünftigerwerden. Ein grandioser Song, der kaum zu toppen ist. Es sei denn, man nehme den Merle-Haggard-Klassiker "That's The Way Love Goes": Seine Version der Lefty Frizzell/Whitey Shafer-Komposition ist so hinreißend gelungen, dass sie glatt mit Merles' ikonischer Darbietung konkurrieren kann. Klarer Beleg? Alan Jackson ist nach gut 30 Karrierejahren endlich am Zenith seiner Country-Werdung angelangt.
Fazit: Country pur. Zu 100 Prozent. Zu jedem Song, zu jeder Note: Alan Jackson legt mit den 21 Tracks von "Where Have You Gone" sein bestes Album seit mindestens 20 Jahren vor. Ein Meilenstein!
Label: EMI Nashville (Universal) | VÖ: 14. Mai 2021 |
01 | Where Have You Gone |
02 | Wishful Drinkin' |
03 | I Can Be That Something |
04 | Where The Cottonwood Grows |
05 | Way Down in my Whiskey |
06 | Things That Matter |
07 | Livin' On Empty |
08 | You'll Always Be My Baby |
09 | Where Her Heart Has Always Been |
10 | The Boot |
11 | Back |
12 | Write It In Red |
13 | So Late So Soon |
14 | This Heart of Mine |
15 | A Man Who Never Cries |
16 | Chain |
17 | I Was Tequila |
18 | I Do |
19 | That's The Way Love Goes (A Tribute to Merle Haggard) |
20 | Beer:10 |
21 | The Older I Get |