John Hiatt with The Jerry Douglas Band - Leftover Feelings

CD Cover: John Hiatt with The Jerry Douglas Band - Leftover Feelings

Wenn Raubein John Hiatt mit den Virtuosen der Jerry Douglas Band gemeinsame Sache macht, kann nur großartige Musik herauskommen. So ist es auch, wie "Leftover Feelings" beweist.

Der eine klingt nach Reißnägeln und Sandpapier: rau, ruppig, heiser. Eine Stimme, mit der man es nicht zum Pop-Posterboy bringt. Da John Hiatt, 1952 in Indianapolis geboren, aber ein begnadeter Songwriter ist, hat er sich längst seinen Platz in der Ruhmeshalle der Roots-Musik gesichert. Der andere ist ebenfalls kein Mann der ersten Reihe. Wie Hiatt aber ist aber auch Jerry Douglas auf seinem Gebiet ein Ass: seit den späten 70er Jahre zählt der 1956 in Warren, Ohio, geborene Musiker und Songschreiber zu den besten Dobro-Spielern im Country und Bluegrass. Regelmäßige CountryMusicNews.de-Leser ist der vielfach ausgezeichnete Studiomusiker und Bandleader deshalb längst ein Begriff.

Gelungenes Experiment: John Hiatt with The Jerry Douglas Band

Was darf man also erwarten, wenn John Hiatt und The Jerry Douglas Band gemeinsame Sache machen? Bluegrass? Möglicherweise. Folk? Vermutlich. Americana? Bestimmt. Und Country-Rock? Eher nicht. Schon gar nicht darf man bei einem Aufeinandertreffen dieser genauso anspruchsvollen wie künstlerisch konsequenten Musikern mit gefälliger, mainstream-tauglicher Songkost rechnen. Dafür aber mit - egal in welche Richtung die Sessions auch gingen - mit qualitativ hochkarätigen Klängen. Und genauso ist es auch: Mit "Leftover Feelings" legen John Hiatt with The Jerry Douglas Band ein exzellentes Album vor, das vor originellen Songs, musikalischen Glanzleistungen und intelligentem Wortwitz nur so strotzt. Der radiotaugliche Mainstream mag diese Art von Musik ignorieren; Musikkenner dürften an den elf neuen Songs aber ihre helle Freude haben.

Das ist durchaus wörtlich gemeint. Denn der hintergründige Spaß kam bei Hiatt, trotz einer Karriere mit mindestens genauso vielen Tiefs wie Hochs, nie zu kurz. Das gilt auch für den John Hiatt Anno 2021, wie schon der augenzwinkernde Opener "Long Black Electric Cadillac" klar macht. Ein schwarzer Cadillac mit Elektroantrieb? Für Automobilpuristen ist das so vorstellbar wie ein alkoholfreier Jack Daniel's. Für John Hiatt aber ist es eine attraktive Vision, wie er kürzlich in einem Telefonat mit CountryMusicNews.de verriet: "Der Cadillac symbolisiert Amerika wie kein anderes Auto", raunte er, "also fragte ich mich, wie wird wohl die Zukunft aussehen? Da kann es nur eine Antwort darauf geben: sie muss auf Elektroantrieb basieren. Wenn wir unseren Planeten retten wollen, müssen wir mit dem Verbrennungsmotor Schluss machen."

Die öko-grüne Gesinnung packen Hiatt und seine Begleiter in hemdsärmelige, bluesige Rock 'n' Roll-Klänge. Ein Sound, der bis auf eine klasse gespielte E-Gitarre ausschließlich von akustischen Instrumenten gespeist wird: Fiddle, Dobro, Kontrabass, Gitarren - und kein Schlagzeug! "Ich habe noch nie im Leben ein Album ohne Drums aufgenommen", verriet uns Hiatt, "da war ich gespannt, wie sich das anfühlt." Das beatfreie Experiment sei geglückt. "Ich war ja schon immer ein sehr rhythmischer Gitarrist und die Jungs von der Jerry Douglas Band grooven an ihren Instrumenten, dass es eine wahre Freude ist. Die Drums haben mir also überhaupt nicht gefehlt." Dem kann man nur beipflichten. Denn die hier versammelten Musiker schüren mit ihren Instrumenten ein rhythmisches Feuer, das lodert, pulsiert und einen Drummer tatsächlich arbeitslos machen kann - ob in dem großartigen, schwer dahinrollenden Swamp-Blues "Mississippi Phone Booth", dem trägen Blues "Little Goodnight" oder im flotten, an die frühen Rolling Stones erinnernden Rhythm & Blues/Folk "Keen Rambler": es groovt! Aber schon so richtig.

Groove ohne Drummer: die Songs von "Leftover Feelings"

Dass das Ensemble bei ruhigeren Folk- und Country-lastigeren Songs natürlich erst recht zu Hause ist, war ohnehin klar. Songs wie das eigentlich eher gemütliche und gar nicht so heiße "The Music is Hot", das im Bluegrass verortete, mit grandioser Dobro-Virtuosität aufgeladene "All The Lilacs In Ohio", der wunderschön melancholische Country-Folk von "I'm In Asheville" oder das nicht minder berührende, ganz im traditionellen Folk angesiedelte "Light of the Burning Sun" belegen die Meisterschaft der beteiligten Musiker. Ja, klar, John Hiatt singt immer noch, als ob er gerade sein Lieblings-Football-Team zum Superbowl-Gewinn geschrien hätte. Aber: Jeder einzelne gequälte Ton kommt bei ihm von Herzen. Von der Seele.

Eine Seele, die nach turbulenten Jahren und nach einer schmerzhaft langen Alkoholsucht offenbar ihren Frieden gefunden hat. Wie sonst könnte er so überzeugend optimistische und friedfertige Songs wie "Changes In My Mind" und "Sweet Dream" singen? Was vergessen? Ach ja, das jazzige, mit einer großartigen, irgendwie an Billy Joel erinnernden Melodie versehene "Buddy Boy". Einer von insgesamt elf Anspieltipps der CD.

Fazit: Musik, die von Herzen kommt und nicht auf den Mainstream schielt: John Hiatt with The Jerry Douglas Band liefern mit "Leftover Feelings" ein großartiges Album ab. Aufgenommen wurde das Album übrigens im historischen RCA Studio B in Nashville.

Label: New West / PIAS (roughTrade) VÖ: 21. Mai 2021
01 Long Black Electric Cadillac
02 Mississippi Phone Booth
03 The Music Is Hot
04 All The Lilacs In Ohio
05 I'm In Asheville
06 Light of the Burning Sun
07 Little Goodnight
08 Buddy Boy
09 Changes In My Mind
10 Keen Rambler
11 Sweet Dream
vgw
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