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Wenn in der Countrymusik etwas in Stein gemeisselt ist, dann: Merle Haggard ist und bleibt Merle Haggard. Kaum ein Musiker ließ sich weniger von den Managern der Music Row, von den großen Schecks, den dicken Limos und den protzigen 5-Sterne-Hotels weniger korrumpieren, als der 1937 im kalifornischen Bakersfleld geborene Sänger. Der Titel seines neues Albums ist deshalb mehr als gerechtfertigt: "I Am What I Am".
Das von ihm und Lou Bradley gemeinsam produzierte Album - überdies sein Einstand bei Vanguard Records - ist aber nicht nur eine aktuelle Visitenkarte des Country-Rebellen. Die CD ist auch ein Destillat seiner Karriere. Merle Haggard pur. Unverfälscht. Und damit: reiner Country.
Natürlich ist in den zwölf Titeln eine gewisse Altersmilde im Gesang des mittlerweile 73jährigen auszumachen. Ein Nachteil ist das allerdings nicht. Im Gegenteil: Weil sich der Ex-Knacki in den finsteren Winkeln seiner Seele immer noch die Gesinnung eines echten Outlaws bewahrt hat, rundet diese neue Haggard-Romantik seine Musik würzig und stimmig ab. Wobei "Romantik" vielleicht nicht das richtige Wort ist. Vermutlich ist es eher sein Blick zurück, seine ausgelebte Nostalgie, die das Album eben romantisch erscheinen lässt.
Bestes Beispiel dafür bildet das wunderbare, im gemächlichen Dreivierteltakt angelegte "Oil Tanker Train". Hier tanzt Merle Haggard mit brüchiger Stimme einen Walzer, der ihn zurück in seine Kindheit und Jugend bringt. In eine Zeit, als er als Zehnjähriger erstmals von Zuhause ausbüchst, um als Hobo in den Norden zu reisen. Dobro-Meister Rob Ickes begleitet ihn bei dieser Zeitreise geschmackvoll und virtuos.
Kaum weniger gefühlvoll fallen Titel wie das sanfte, an Mark Knopfler erinnernde (und ebenfalls im 3/4-Takt gehaltene) "Down At The End Of The Road" und das knorrige Liebeslied "We’re Falling In Love Again" aus.
Neben der bereits erwähnten Altersmilde fällt aber auch eine gewisse Altersweisheit auf. Merle Haggard gibt hier schließlich nicht krampfhaft den hippen Countrymusiker und Moden oder Trends sind dem Sänger mit dem verknitterten Gesicht hörbar schnuppe. Dafür legte er – sehr löblich! – umso mehr Wert auf Songs, kompetente Begleiter und angenehme Produktionsbedingungen. So entstand das Album größtenteils in seinem heimischen Studio, gemeinsam mit erstklassigen Musikern wie Bob Dylan-Drummer George Receli, Gitarrist Reggie Young und Geiger Scott Joss. Sie, und weitere Musiker, hatten hörbar Spaß, den Altmeister nach Kräften zu unterstützen. Egal, ob im Bluegrass-Style (das etwas bittere "I’ve Seen It Go Away"), im Western-Swing ("Pretty When It’s New", "The Road To My Heart") oder im melodischen Folk ("How Did You Find Me Here") – Haggard und Begleiter fanden stets absolut authentische Noten.
Glaubwürdig fallen natürlich auch Titel wie das autobiografische "Mexican Bands" aus, das – begleitet von einer lustigen Trompete – von den wilden Bar- und Cantina-Tagen des Merle Haggard erzählt. Wenn ein Margherita Musik machen könnte, so würde sie wohl klingen ...
Der Merle Haggard Anno 2010 ist allerdings ein anderer: ruhiger, charmanter, sensibler. Den besten Beweis für den Reifeprozess eines Rauhbeins bildet das flotte, im Zweivierteltakt gehaltene Duett mit seiner Ehefrau Theresa "Live And Love Always". Ein grandios inniger Zweigesang, der selbst mit den Duetten von Johnny Cash und June Carter konkurrieren kann.
Fazit: Klarer Fall von Altersmilde – aber auch von Altersweisheit. Ein vollauf geglücktes, erstaunlich subtiles Spätwerk des einstigen Countryrebellen.
Label: Vanguard (EMI) | VÖ: 16. April 2010 |
Titelliste CD
Links
01 | I've Seen It Go Away | 07 | We're Falling In Love Again |
02 | Pretty When It's New | 08 | Bad Actor |
03 | Oil Tanker Train | 09 | Down At The End Of The Road |
04 | Live And Love Always | 10 | Stranger In The City |
05 | The Road To My Heart | 11 | Mexican Bands |
06 | How Did You Find Me Here | 12 | I Am What I Am |
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