Der Schlüsselmoment in Johnny Cashs Transformation zu einer "Legende" und nicht nur zu einem weiteren Country-Sänger, war die Aufnahme seines geradezu als Markenzeichen verwendeten Songs "Man in Black" im März 1971. Bis dahin genoss Cash Erfolge, vor allem als Vorreiter für Rockabilly in den 1950ern für die in Memphis beheimateten Sun Records, wo er sich den Stars des tiefen Südens anschloss unter anderem Elvis Presley und Jerry Lee Lewis, die die amerikanische Popmusik revolutionierten. Seine Kariere überlebte die großen Veränderungen in der Popmusik in den 1960ern - von 1969 bis 1971 hatte er sogar seine eigene Fernsehshow. Aber als Country-Musik Hitproduzent blieb er verglichen mit George Jones, Conway Twitty und Haggard zweitklassig. Es war "Man in Black", das gegen Ende der Produktion seiner Fernsehshow veröffentlicht wurde, das ihm dauerhaften Ruhm brachte.
Durch dessen Aufnahme verkörperte Cash etwas, das die musikalische Linke immer gesucht hatte: einen "Mann des Volkes", der auch politisch korrekt ist. Cashs Stück beinhaltete alle Themen der Protestpolitik der 1960er, einschließlich des Wiederstandes gegen den Vietnam Krieg.
(Ich trage Schwarz für die Armen und Niedergeschlagenen,)
Livin´ in the hopeless, hungry side of town,
(Die in einer hoffnungslosen und hungernden Gegend der Stadt leben,)
I wear it for the prisoner who has long paid for his crimes
(Ich trage es für den Gefangenen, der schon lange für seine Verbrechen gebüßt hat,)
But is there because he´s a victim of the times.
(Aber der dort ist, weil er ein Opfer der Zeiten ist.)
Well, we´re doin´ mighty fine, I do suppose,
(Also, es geht uns ganz gut, meine ich,)
In our streak of lightnin´ cars and fancy clothes,
(In unseren Flitzern und ausgefallenen Kleidern,)
But jut so we´re reminded of the ones who are held back
(Aber damit wir an die erinnert werden, die zurückgehalten werden,)
Up front there ought ´a be a Man in Black.
(Sollte vorne ein Mann in Schwarz sein.)
I wear it for the sick and lonely old,
(Ich trage es für die Kranken und die einsamen Alten,)
For the reckless ones whose bad trip left them cold,
(Für die Leichtsinnigen, deren Horrortrip sie kalt zurückgelassen hat,)
I wear the black in mournin´ for the lives that could have been,
(Ich trage das Schwarz in Trauer um die Leben, die hätten sein können,)
Each week we lose a hundred fine young men.
(Jede Woche verlieren wir hundert feine junge Männer.)
"Okie" verteidigte die traditionelle Kultur:
(Wir rauchen kein Marihuana in Muskogee ;)
We don´t take our trips on LSD;
(Wir machen unsere Trips nicht auf LSD ;)
We don´t burn our draft cards down on Main Street;
(Wir verbrennen unsere Wehrpässe nicht unten an der Hauptstraße;)
We like livin´ right, and bein´ free.
(Wir lieben es recht zu leben und frei zu sein.)
We don´t make a party out of lovin´;
(Wir machen keine Party aus der Liebe; )
We like holdin´ hands and pitchin´ woo;
(Wir lieben es Hände zu halten und vom Umwerben zu reden;)
We don´t let our hair grow long and shaggy,
(Wir lassen unsere Haare nicht lang und zottig wachsen,)
Like the hippies out in San Francisco do.
(Wie es die Hippies in San Francisco tun.)
I´m proud to be an Okie from Muskogee,
(Ich bin stolz ein Okie von Muskogee zu sein,)
A place where even squares can have a ball.
(Ein Platz, wo sogar Squares Spaß machen können,)
We still wave Old Glory down at the courthouse,
(Wir haben noch immer die Flagge der USA im Gerichtsgebäude,)
And white lightnin´s still the biggest thrill of all.
(Und White Lightning* ist noch immer der Größte aller Nervenkitzel.) *ein Whiskey
(Ich höre Leute schlecht reden,)
About the way we have to live here in this country,
(über die Art wie wir hier in diesem Land leben müssen,)
Harpin´ on the wars we fight,
(über die Kriege, die wir schlagen, lästern,)
An´ gripin´ ´bout the way things oughta be.
(Und jammern darüber, wie die Dinge sein sollten,)
An´ I don´t mind ´em switchin´ sides,
(Und mir macht es nichts aus, wenn sie Seiten wechseln,)
An´ standin´ up for things they believe in.
(Und sich für Sachen, an die sie glauben, einsetzen,)
But when they´re runnin´ down my country, man,
(Aber wenn sie mein Land schlecht machen, Mann,)
They´re walkin´ on the fightin´ side of me.
(Sind sie auf meiner schlechten Seite,)
I read about some squirrelly guy,
(Ich habe über einen verrückten Typ gelesen,)
Who claims, he just don´t believe in fightin´.
(Der behauptet, er glaube nicht an das Kämpfen,)
An´ I wonder just how long
(Und ich wundere mich, wie lange)
The rest of us can count on bein´ free.
(Der Rest von uns damit rechnen kann, frei zu sein.)
They love our milk an´ honey,
(Sie lieben unsere Milch und unseren Honig,)
But they preach about some other way of livin´.
(Aber sie predigen über eine andere Lebensweise.)
When they´re runnin´ down my country, hoss,
(Aber wenn sie mein Land schlecht machen, Mann, )
They´re walkin´ on the fightin´ side of me.
(Sind sie auf meiner schlechten Seite.)
Haggard war der Sohn von Dust Bowl Migranten aus Chekotah, Oklahoma, die sich in Kaliforniens Central Valley (Bakersfield) niederließen. Geboren wurde er 1937 und verbracht seine frühesten Jahre in einem verlassenen Güterwagen, an den sein Vater einen Vorbau angeschlossen hatte. Haggards Vater, selbst ein Fiedelspieler im Stil des Western Swings, starb als der Junge neun war. Kurz danach begann er mit dem Schulschwänzen und kleineren Verbrechen, dies führte zu zwei Einweisungen in kalifornische Jugendstrafanstalten. Haggard erinnert sich später an diese Zeit in einem seiner vielen autobiographischen Songs, "Mama Tried": "Mama tried to steer me right, but her pleadings I denied. Now there´s only me to blame, ´cause Mama tried.". ("Mama versuchte mich auf den rechten Weg zu bringen, aber ihre Bitten habe ich ignoriert. Jetzt bin nur ich dafür verantwortlich, weil Mama es versucht hat.)".
Später wandte sich Haggard gravierenderen Verbrechen zu. Eine Verurteilung für bewaffneten Raub im Alter von 20 Jahren resultierte in einer Strafe von 15 Jahren in San Quentin. Ab hier wird die Geschichte wirklich melodramatisch. Während er für sieben Tage in einen speziellen Isolationstrakt geschickt wurde, weil er einen illegalen Brauereibetrieb im Gefängnis gestartet hatte, sprach Haggard - durch eine Abzugsöffnung - mit Caryl Chessman, dem verurteilten Serienvergewaltiger, der als der "Red Light Bandit" (Räuber an roten Ampeln) Frauen in Los Angeles in den späten 1940er Jahren terrorisiert hatte. Die sich gut verkaufenden Gefängnisschriften von Chessman zu seiner eigenen Verteidigung hatten diesen zu einem Cause Célébre für die liberalen Todesstrafengegner werden lassen.Haggard identifizierte sich mit Chessman, einem ehemaligen bewaffneten Räuber, der ebenfalls Zeit in Jugendanstalten verbracht hatte. Genauso wie Chessman wurde Haggard in einem Fall von Personenverwechslung fast mit Vergewaltigungsanschuldigungen konfrontiert. In seiner Autobiographie schreibt Haggard: "In diesen sieben furchtbaren Tagen wurde ich endlich erwachsen. Ich wusste, wenn ich nicht einige drastische Veränderungen in meinem Leben vornehmen würde, würde ich dort enden, wo Chessman war - höchstwahrscheinlich ohne seine Anerkennung."
Haggard versteht diesen "einschüchternden" Moment als den Wendepunkt in seinem Leben. Musik und gute Führung führten zu einer frühen Entlassung - und diese Erfahrungen, einschließlich jener im Gefängnis, beeinflussten stark seine Musik. Einer seiner typischen Songs, "Sing Me Back Home", erinnern an Menschen wie Caryl Chessman, deren Gang zur Gaskammer er verfolgte. "The warden led a prisoner, down a hallway to his doom. I stood up to say goodbye like all the rest. And I heard him tell the warden as he paused outside my cell, ´Let my guitar-playing friend do my request.´". ("Der Aufseher führte den Gefangenen durch einen Korridor seinem Schicksal entgegen. Ich stand auf, um mich wie alle andern zu verabschieden. Und ich hörte ihn zum Wächter sagen, als er vor meine Zelle verweilte: ´Lass meinen gitarrespielenden Freund meinen Wunsch erfüllen.´"). 1972 erhielt Haggard eine vollständige Begnadigung durch den kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan, und schließlich sang er "Okie" für Richard Nixon im Weißen Haus; angeblich erzählte Nixon anderen, dass er sich wie ein Okie gefühlt hätte.
Die Chancen gegen eine Aufbereitung von Haggards Leben durch Hollywood bleiben also hoch. Der Film würde immerhin aus Nixon und Reagan gute Menschen machen müssen. Aber die Grateful Dead nahmen "Mama Tried" auf und in den letzten Jahren tourte Haggard mit Bob Dylan. Also gibt es vielleicht eine Chance. Hoffen wir, dass es geschieht, solange der auch heute noch produktive Haggard lebt. Die größtmögliche Anerkennung kann nicht zu früh kommen.