So heißt der neue bei Hag Records und McCoury Music erscheinende Tonträger denn auch schlicht und einfach "The Bluegrass Sessions". Und tatsächlich ist das etwas ganz Neues für Haggard, der in seiner über 40 Jahre umfassenden Karriere schon so einige Konzept-Alben - von Western-Swing, Vorkriegs-Country über Dixieland bis hin zu Pop-Standards reicht die Palette - ablieferte. Bluegrass allerdings war noch nicht dabei.
Dass das Genre Anfang der 90er Jahre mit dem Überraschungserfolg des Soundtracks zum Film "O Brother Where Art Thou" eine Renaissance nicht nur in der Country-Szene erlebte, mag für Haggard eine Rolle gespielt haben. Vielleicht fiel ihm aber einfach bei der Durchsicht seines umfangreichen Oeuvres auf, dass ein Bluegrass-Album fehlte. Nun jedenfalls ist es da und kommt genau zur richtigen Zeit. Selten war die Rückbesinnung auf die musikalischen Wurzeln der Country-Musik nötiger und auch erfolgreicher, wie die ähnlich gearteten Produktionen von Dolly Parton, Patty Loveless oder Vince Gill zeigten.
Haggard, bekannt dafür, keine halben Sachen zu machen, rekrutierte für seine Bluegrass-Huldigung eine Auswahl der Besten, die das Genre zu bieten hat: Marty Stuart verdingt sich an der Mandoline, Carl Jackson sorgt für atemberaubendes Fingerpicking an der Gitarre, Rob Ickes sorgt für selbiges an Resonator-Gitarre, Charlie Cushman bedient das Banjo, Aubrey Haynie ist an der Fiddle zu hören und Ben Isaacs am Bass.
Bei derart versiertem Personal an seiner Seite gelingt Haggard die Übersetzung älterer Haggard-Songs ins Bluegrass-Vokabular leicht. Dass er sich dabei nicht nur auf große Hits verlässt, macht den Reiz der Scheibe aus: "Runaway Momma", "I Wonder Where To Find You", "Momma's Prayers" oder "Wouldn't That Be Something" sind Songs, die selbst Haggard-Fans nicht unbedingt sofort parat haben. Gerade deshalb passt der Bluegrass-Anzug ziemlich perfekt. Dieser steht jedoch auch bekannteren Titeln wie "Mama's Hungry Eyes", bei dem Alison Krauss Gesang beisteuert, "Holding Things Together" oder "Big City" nicht schlecht. Und auch zwei absolut neue Songs finden sich auf dem Album: In "Pray" und "What Happened?" rechnet Haggard in seiner unnachahmlich direkten Art mit seiner geliebten Heimat und ihren Bewohnern ab. Bei "Pray" bleibt er eher vage, fordert lediglich mehr Empathie und Hilfsbereitschaft in einer selbstgefälligen Gesellschaft, bei dem Song "What Happened?" hingegen lässt er seinem Ärger über das heutige Amerika freien Lauf: "I remember the morning the towers fell/I fell back asleep and dreamed of hell/Truth that stood for years is down the drain/What happened? Does anybody know?/What happened? Where did America go?" Dazu passt gut, dass sich Haggard, nicht gerade als liberaler Geist bekannt, neuerdings für Hillary Clinton einsetzt und den Irak-Krieg ablehnt.
Natürlich dürfen zwei Coverversionen nicht fehlen: Der "Jimmie Rodgers Blues" und der Delmore-Brothers-Klassiker "Blues Stay Away From Me" runden das Album gekonnt ab. Eine der Qualitäten des Albums ist, dass sich die handverlesenen Instrumentalisten immer Haggard und den jeweiligen Songs unterordnen. Hochgeschwindigkeits-Picking auf Teufel komm raus wird tunlichst vermieden und auf selbstverliebte Darstellung des Könnens verzichtet - die Musiker sind zu versiert, um in diese beim Bluegrass-Genre manchmal anzutreffende Ego-Falle zu tappen.
Fazit: The Hag goes Bluegrass und macht dabei alles richtig. Alte, neue, bekannte und unbekannte Songs des "Okie From Muskogee" in traditionellem Bluegrass-Gewand, die richtig Spaß machen.
Label: Hag/McCoury Music (in Deutschland nicht erschienen) | VÖ: 2. Oktober 2007 |
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