Und phänomenal ging es weiter. 2014 gelang ihm dieser grandiose Doppel-Erfolg erneut mit dem Album "The Outsiders". Der Außenseiter war, ist mittendrin im Superstar-Hype. Eine Position, die der schon als 13-Jähriger dem Country-Virus verfallene Künstler trefflich zu nutzen weiß: mit Überraschungen, Unerwartetem, mit kleinen und großen, leisen und lauten Sensationen - mit dem Album "Mr. Misunderstood".
Flirtete er beim "Outsiders"-Album noch intensiv mit Funk, Rock und sogar HipHop, besinnt sich Eric Church jetzt wieder auf seine musikalischen Roots. Und die liegen eindeutig im Country- und Folk-Rock. Nun ja, eindeutig ... so ganz eindeutig natürlich auch wieder nicht. Schließlich vergeht kein Interview mit dem Country-Sonderling, ohne dass er seine Verehrung für Bruce Springsteen kundtun würde. Seine persönliche Heldenverehrung schlägt sich freilich immer wieder auch musikalisch nieder. Hier in dem großartigen, sich zunächst betulich aufbauenden Rocker "Knives of New Orleans"; ein Titel der dem legendären Boss-Frühwerk "Born to Run" in Punkto Energie, Drive und Charisma glatt das Wasser reichen kann. Aber auch ein textlich so düsteres Kaliber, dass sich das brave Mainstream-Country-Radio wohl verweigern wird.
Egal, er bietet den Stationen ja noch etliche weniger kritische Alternativen an. Zum Beispiel das ruhige, harmonisch wunderbare "Round Here Buzz" oder das finale "Three Year Old". In dem prächtigen akustischen Country-Song berichtet er, was er alles von seinen zwei kleinen Jungs lernen kann: barfuß im Matsch waten, vom Cowboyspielen auf dem Mond träumen und so weiter. Ein herrlich phantasie- und humorvoller Song mit grandiosem Refrain.
Auch in den weiteren acht Titeln bietet Eric Church unkonventionelle Geschichten über Gott, die Welt, die Liebe und das Leid an. Songs aus dem Leben. Manchmal überzeichnet, manchmal reduziert auf Ahnungen, immer aber ganz im Stile eines großen Songautoren-Meisters. Das gilt auch für den Umgang mit weiteren stilistischen Einflüssen und seinen musikalischen Gästen. Im Verlauf der CD präsentiert er gleich mehrere der stärksten und vielleicht (noch) unterbewerteten weiblichen Stimmen aus Country und Americana: Rhiannon Giddens und Andrea Davidson veredeln das flotte, modern arrangierte "Kill a Word"; Blues-Gitarristin und -Sängerin Susan Tedeschi brilliert im Duett mit Church bei der unkonventionell traurigen Trinker-Ballade "Mixed Drinks About Feelings".
Dass sich Church unverstanden fühlt, befeuert er natürlich selbst nach Leibeskräften. Schon mit dem Opener und Titeltrack. Ein Song, der - ein Unding in Nashville - mit etlichen Tempiwechsel den biederen Hörer schockiert. Und auch das rassige, ganz im Retro-Soul angesiedelte "Chattanooga Lucy" - mit Duett-Partnerin Joann Cotten - wird in der Country-Gemeinde für heftiges Stirnrunzeln sorgen. Egal, auch dieser Song hat Klasse, Qualität, Phantasie und Eleganz, wie man es in Nashville nur selten bestaunen darf. Klarer Fall von: Meisterwerk.
Fazit: Verwirrung ist bei ihm Konzept. Schon das Cover, das einen jungen, an Buddy Holly erinnernden Hornbrillen-Nerd zeigt, stiftet Verwirrung. Die zehn Songs tun ihr übriges - und begeistern mit jedem Hördurchgang mehr.
Label: EMI Nashville (Universal) | VÖ: 11. Dezember 2015 |
01 | Mr. Misunderstood |
02 | Mistress Named Music |
03 | Chattanooga Lucy (mit Joann Cotten) |
04 | Mixed Drinks About Feelings (mit Susan Tedeschi) |
05 | Knives of New Orleans |
06 | Round Here Buzz |
07 | Kill A Word (mit Rhiannon Giddens und Andrea Davidson) |
08 | Holdin' My Own |
09 | Record Year |
10 | Three Year Old |