Wir haben uns in der am 15. April veröffentlichten Besprechung von "Heart" über den aktuellen Kreativitäts-Schub von Eric Church leidlich ausgelassen. Nur kurz rekapituliert: Eric Church, seines Zeichens amtierender CMA-Entertainter des Jahres, hat sich gemeinsam mit seiner Band für ein knappes Monat in die Berge von North Carolina zurückgezogen, um 24 neue Songs zu schreiben und aufzunehmen. Ein Gewaltakt. Aber auch: Ein kreativer Overkill erster Güte. Denn die 24, meist gemeinsam mit prominenten Co-Autoren geschriebenen Tracks haben es wirklich in sich: Nur Premium-Klasse. Kein Füllmaterial. Kein Wunder, dass der geniale Nashville-Sonderling keinen der Titel opfern wollte. Also: Veröffentlicht er innerhalb eines Monats gleich mal drei Alben. Nach "Heart" kommt jetzt "&", Ende April rundet "Soul" schließlich die Herz-und-Seele-Trilogie ab.
"&": sechs Mal Eric Church in Bestform
Für den Opener hat sich Eric Church gleich mal einen geradezu ikonischen Song einfallen lassen: "Through My Ray Bans". Klar, man kann die Welt ja auf verschiedene Arten betrachten: Nüchtern, sachlich, so wie sie eben ist. Oder durch die rosarote Brille, so wie Mutter Erde vielleicht sein sollte. Eric Church behilft sich beim Beäugen unserer Existenz so wie man ihn kennt - durch die geschliffenen Gläser seiner obligatorischen Ray Ban-Brille. In dem Titel wird Church erneut seinem Ruf gerecht, einer der poetischsten Songtexter der Szene zu sein. Er berichtet in dem gemäßigten Country-Rocker von Königen und Bettlern, von Träumern und einer Solidargemeinschaft, die es im wirklichen Leben nicht gibt. "Die Schlacht findet Morgen statt", singt er da, "aber heute Abend ist es dir egal. Ich wünschte, du könntest so bleiben, wie ich dich durch meine Ray Bans sehe." So viel romantische Poesie verlangt nach musikalischem Pathos, das sich in ätherischen Klavierklängen und euphorischen Ooh, woo ooh, ooh-Chor äußert. Keine Frage, ein enorm starker Auftakt des Sandwich-Albums "&" - mit reichlich Stoff zur Textinterpretation.
Deutlich konkreter wir Eric Church schon im nächsten Track "Doing Life With Me". Der extrem entspannte Country-Song erzählt die Geschichte von einem, sagen wir mal, Looser. Von einem Typen, der, wieder einmal, von seiner Frau oder Freundin aus dem Knast geholt wird und dem es langsam dämmert, dass er dabei ist, sein Leben zu vergeuden. Eine nicht gerade erheiternde Story – die er aber in so luftige Klänge kleidet, dass in seiner metaphernreichen Sprache immer auch Hoffnung mitschwingt. Musikalisch sehr traditionell geht er auch im nächsten Song zu Werke: In der Ballade "Kiss Her Goodbye" berichtet er von einem liebeskranken Kater, der nach langer Zeit der Trennung immer noch nicht über die Liebste hinweg ist. Traurig, traurig, und irgendwie an den frühen Garth Brooks erinnernd: "You wouldn't think that after all this time I wouldn´t need to drink her off my mind ..." Tja, so spielt das Leben. Zumindest manchmal.
Nach drei ruhigen, fast ausschließlich akustisch angelegten Tracks legt Church mit "Do Side" eine Schippe drauf. Ach was, zwei, drei, vier Schippen. Mindestens. Der Song wirkt wie eine Dornenrose in einem Gänseblümchenstrauß: laut, rockig, aggressiv, vertrackt – und vor allem: extrem funky. Im Mittelpunkt stehen ein durchgeknalltes Banjo, eine spacige Gitarre, ein souliger Gospel-Chor und ein synkopierter Funk-Groove. Ein brodelnder, pulsierender Sound, zu dem Church düstere Bilder einer gescheiterten Beziehung singt. Harter Tobak! Aber auch der einzige musikalische Ausreißer in dieser insgesamt sehr reduzierten und entspannten Song-Sammlung.
Akustische Songs von Liebe und Liebesleid prägen "&"
Auch beim nachfolgenden "Mad Man" bleibt er thematisch beim vorherrschenden Thema von "&": Was kann eine Trennung mit einem Menschen anstellen? Im Zweifel bringt sie einen - wie eben jenen "Mad Man" - um den Verstand. Ein Typ, wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, der mit Jack (Daniels) schießt und Pistolenkugeln in den Mund nimmt. Was für ein schräges Bild! Knapp drei Minuten lang bleibt der Song in angespannter Ruhe. Doch man spürt: Da kommt noch was. Die Spannung entlädt sich in der letzten Songminute mit brachialem Rock.
Diesen Faden nimmt auch der letzte Track von "&" auf. "Lone Wolf" handelt, klar, der Titel ist Programm, von einem Einzelgänger. Allerdings von einem geläuterten. Von einem Typen, der nur die Sonne und den Wind als Freunde hatte und für den es das Höchste war, niemanden zu kennen und alleine zu sein. Bis - ja, bis SIE kam. "Till I met you I had nothing to lose", verrät er relativ banal und meint dann noch, dass jene Glücksfee seinen "Käfig gesprengt" hätte. Das alles ist so originell, wie ein Blues über einen zu Schrott gefahrenen Cadillac. Weil der wuchtige Country-Rocker auch musikalisch relativ wenig zu bieten hat, ist "Lone Wolf" auch der schwächste Song dieser sechs Tracks umfassenden "&"-Kollektion.
Fazit: Auf "&" hält Eric Church sehr persönliche und meist mit metaphernreichen Bildern ausgestattete Songs parat. Die Liebe - und was sie mit einem Menschen anstellen kann, ist das zentrale Thema.
Label: EMI Nashville (Universal) | VÖ: 20. April 2021 |
01 | Doing Life with Me |
02 | Do Side |
03 | Kiss Her Goodbye |
04 | Mad Man |
05 | Lone Wolf |