Morgan Wallen: ist der böse Bube des Country geläutert?
Aber Morgan Wallen hatte - so geht nun mal das Spiel - schwuppdiwupp sein Image weg. Dass er sich dazu mit Kid Rock angefreundet hat, dürfte ihm bei den Music Row-Granden auch keine Sympathiepunkte eingebracht haben. Genauso wenig wie spätere Verstöße gegen Corona-Regeln. Schwerwiegender war aber, dass er sich rassistisch äußerte - und das auch noch auf Video festgehalten wurde. Sein Label hat ihn daraufhin zeitweise suspendiert. Vermutlich schweren Herzens. Denn sein letztes Album "Dangerous - The Double Album" thronte nicht nur wie Blei auf Platz eins der Pop- und Country-Charts, es verkaufte sich auch noch sensationelle 4,3 Millionen Mal. Ein Millionen-Seller in heutigen Zeiten - so rar, wie Schnee im Mai.
Man darf jetzt also gespannt sein, wie sich der böse Bube des Country mit seinem neuen Album "One Thing at a Time" schlägt. Ganz leicht dürfte er es nicht haben, hat er doch durch seine Verfehlungen Federn gelassen. Immerhin weigern sich rund 400 amerikanische Radiostationen seine Musik zu spielen. Entgeht ihnen etwas? Nach dem ersten Hördurchgang von "One Thing at a Time" muss man sagen: ja, doch. Er hat was. Er kann was. Das haben wohl auch Eric Church, Hardy und Ernest so gesehen, die ihn auf dem Album mit Gastbeiträgen unterstützen. Der musikalische Aspekt dürfte in seinem Fall aber weniger wiegen als der menschliche. Soll heißen: Wenn ein cooler Typ wie Eric Church sagt, der Junge ist okay, dann ist er auch okay. Oder etwa nicht?
Wir wissen es nicht. Wir urteilen deshalb auch nicht über ihn, sondern nur über die 36 (!) Songs seines neuen, über 111 Minuten dauernden Albums. Drei Dutzend Songs waren nötig, da, so heißt es, Wallen, die Produzenten und Musiker viel herumexperimentiert hätten. Dabei habe der im Mai 30. werdende Sänger immer wieder an seinen Roots geschabt - und zu denen gehören neben Country eben auch Alternative und HipHop. Doch keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, die Grundfarbe der CD ist ganz klar und deutlich in Country-Tönen gezeichnet.
36 Songs mit starken Melodien: "One Thing at a Time"
Das macht auch schon der programmatische Opener "Born with a Beer in my Hand" deutlich. Wallen hat den süffigen, im moderaten Tempo angelegten Country-Song gemeinsam mit Zach Abend und Michael Hardy geschrieben. Ein sehr entspannter Track, bei dem Roots-Country die Basis bildet, klangtechnischer Schnickschnack sorgt für etwas Hipness. Bekenntnisse zum ungenierten Alkoholmissbrauch finden sich im Verlauf des XXL-Albums freilich noch häufiger: Bei dem gefühlvoll-schönen "Man Made a Bar", bei dem er sich mit Eric Church einen hinter die Binde kippt, bei dem zunächst verträumten, dann wuchtigen "Whiskey Friends", beim bluesigen "I Deserve A Drink" (mit Co-Autor Devin Dawson) und - dann war es wohl doch mal genug - bei der ausgezeichneten Southern-Country-Rock-Ballade "Wine Into Water".
Auffällig dabei ist, dass Morgan Wallen ein extrem glückliches Händchen für herrliche (Pop)Melodien hat. Sie gehen geschmeidig ins Ohr und nisten sich da auch nur zu gerne ein - was keine schlechte Voraussetzung für einen Hit ist. Neben dem Sich-Besaufen lebt Wallen auf "One Thing at a Time" auch immer wieder seine andere, seine spirituelle Seite aus: "Don't Think Jesus" und "In The Bible" (Duett mit Hardy) sind zwar alles andere als Gospel-Songs, aber sie zeigen Wallen immerhin als tiefschürfenden Heißsporn.
Tja, und das dritte große Thema der CD ist - natürlich - die Liebe, beziehungsweise der Liebeskummer. "F150-50" (Bezeichnung für einen Ford-Pickup), "Me And All Your Reasons" oder "Good Girl Gone Missin'" machen klar, dass es auch für millionenschwere Country-Stars nicht immer rund in Beziehungsfragen läuft. Als erstaunlichster Song von "One Thing at a Time" dürfte "Keith Whitley" gelten. Seine mit Song-Zitaten gespickte Verneigung vor der großen Stimme des New Country hat etwas Rührendes, selbst wenn sich "Whitley" nur mit dem Schuhlöffel auf "Whiskey" reimen will. Man darf hoffen, dass Morgan Wallen das Schicksal seines frühen Kollegen eine Mahnung ist: Keith Whitley hat sich mit 33 Jahren totgesoffen.
Fazit: Auf "One Thing at a Time" serviert Morgan Wallen 36 neue, für ihn typische Songs: starke Melodien treffen auf ein meist nur dezent modernisiertes Country-Outfit. Eric Church, Hardy und Ernest sichern ihm als Stargäste Sympathiepunkte.