Denn im zweiten Teil gerät "Live @ The Filmore" zu einemLivealbum, das eher auf Druck und Lautstärke setzt, denn auf filigrane Feinheiten eines Songarrangements. Auch wenn Williams nicht so weit geht, wahre Lärmorgien zu veranstalten, der Kollege Neil Young und seine Band Crazy Horse lassen schön grüßen, in mancher ausgedehnten Solojam, die Lucinda Williams mit ihrer bewährten dreiköfigen Band hier auffährt. In dem ausgedehnten Jam zum Song "Joy" beispielsweise. Bösartig wütet und krakeelt sich Lucinda Williams durch den verschleppten, entgegen dem Titel so gar nicht fröhlich klingenden Song. Gleich darauf nimmt sie sich den eher verhaltenen Titelsong ihres Albums "Essence" zur Brust: Da macht Williams ihrem Ruf als Spezialistin für Verstörendes, grob Gehauenes, unter die Haut gehendes Liedgut alle Ehre. Als Künstlerin über 50 glaubt man eben nicht mehr an Gänseblümchen. Der nächste Song im Set heißt wie er hier klingt: "Real Live Bleeding Fingers and Broken Guitar Strings" - nach blutenden Fingern und gerissenen Gitarrensaiten.
Dabei beginnt alles ganz harmlos: Die erste CD eröffnet mit dem sehnsüchtigen "Ventura", ein Blick in die Ferne mit Doug Pettibones Lap-Guitar im zarten Duett mit Lucinda Williams ganz eigenwilliger Stimme, die Elvis Costello zu der Aussage inspirierte: "Diese Frau singt, wie Keith Richards Gitarre spielt." Todtraurig shufflet sich die Band - Taras Prodaniuk (Bass), Jim Christie (Drums, Keyboards) - danach durch ein weinerliches "Reason To Cry", verkriecht sich unter die (metaphorischen) schweren Bettdecken, unter denen sich einsame Mädchen in den Schlaf grämen ("Lonely Girls"). "Overtime", "Blue" - das sind diese typischen Lucinda Williams-Lieder, so schroff manchmal, so zärtlich traurig, so ergreifend. Solche, die nicht einmal an einem Lagerfeuer wirklich wärmen würden und denen man sich ganz anvertrauen muss, um in ihnen Trost zu finden. Eine Stimmung, die schnell in böse Wut umschlägt: "Ich habe das Schloss an der Tür ausgewechselt" keiftWilliams in "Changed The Locks". Aber sie klingt als wisse sie, dass sie eine tragische Heldin bleibt.
Fazit: "Live @ The Filmore": 22 höchst intensive Abrechnungen mit dem Leben in seiner ganzen Härte und Ungerechtigkeit mit der US-Alt.Country-Sängerin Lucinda Williams: Leicht macht sie es dem Hörer selten. Und sich selbst nie.
Label: Lost Highway (Universal) | VÖ: 10. Mai 2005 |
Titelliste
Links
Disc 1 | Disc 2 | ||
01 | Ventura | 01 | I Lost It |
02 | Reason to Cry | 02 | Piñeola |
03 | Fruits of My Labor | 03 | Righteously |
04 | Out of Touch | 04 | Joy |
05 | Sweet Side | 05 | Essence |
06 | Lonely Girls | 06 | Real Live Bleeding Fingers... |
07 | Overtime | 07 | Are You Down |
08 | Blue | 08 | Those Three Days |
09 | Changed the Locks | 09 | American Dream |
10 | Atonement | 10 | World Without Tears |
11 | Bus to Baton Rouge | ||
12 | Words Fell |