Lucinda Williams: "Keep On Walkin" - egal, was passiert

Lucinda WilliamsDie 54-Jährige Singer-Songwriterin zeigte bei ihrem Konzert im Berliner Schiller-Theater, warum sie kein Superstar- und dennoch großartig ist

Keine Effekthascherei
Nein, Lucinda Williams ist nicht zum Superstar geboren. Dafür fehlen ihr die großen pathetischen Gesten ebenso wie die Aura eines Platzhirsches. Sie wirkt fast ein wenig unbeholfen und ihre Bewegungen sind ein wenig ungelenk, wenn sie ans Mikro tritt. Sie trägt abgewetzte Blue Jeans und eine enganliegende mittelbraune Bluse - auch hier kein Glamour oder Glitzer. Effekthascherei ist Lucinda Williams offensichtlich fremd. Bei ihr dreht sich alles einzig und allein um die Musik. Auch die sparsame Lightshow kann nicht davon ablenken.

Perfektionistin
CD: Lucinda Williams - WestBeim Opener - dem düsteren introvertierten "Rescue" vom aktuellen "West"-Album - bricht sie nach einer Minute ab, sagt, dass sie stimmlich daneben lag - und beginnt den Song noch einmal von vorn. "I'm a perfectionist, that's what they say" ist ihr lakonischer Kommentar. So etwas tut ein Superstar nicht. Der würde über den ohnehin kaum merkbaren Fehler hinweg singen und womöglich die Arme ausbreiten, als würde er die ganze Welt umarmen wollen. So etwas wiederum würde Lucinda Williams nie in den Sinn kommen. Sie ist eine nüchterne, fast ein bisschen schüchtern wirkende Performerin. Dennoch zieht die 54-Jährige das Publikum nach und nach immer fester in ihren Bann. Und das obwohl die meisten ihrer Songs in sich gekehrt sind und im Midtempo-Bereich liegen. So geht es nach "Rescue" mit dem melancholischen "Blue", dem fragenden "Are You Alright" oder dem existentialistischen "Learning How To Live" weiter. Danach gibt's ein Küsschen für Gitarrist Duog Pettibone - vermutlich, weil er so extrem gut gespielt hat - genauso wie die ganze exzellente Band.

Emotionale Höhepunkte
Mit dem straffen "Steal Your Love" gibt's nach rund 20 Minuten den ersten emotionalen Höhepunkt der Show, dem das legendäre "Righteously" noch einen draufsetzt, das ein amerikanischer Kritiker mal als Geburt des "Hip-Billy" - einer Mixtur aus Hip-Hop und Hilly Billy - bezeichnete. Dieser Song zeigt exemplarisch, warum es der Musikindustrie so schwer fällt, mit Lucinda Williams klar zu kommen. In ihrer Musik - und das wird auch bei diesem Konzert in Berlin ganz deutlich - verbinden sich so vielfältige Einflüsse aus Country-Blues, klassischem Country, Bluegrass, Hilly Billy, Tex-Mex, aber eben auch dem Soul der alten Schule, sodass es nahezu unmöglich wird, Lucinda Williams' Songs zu kategorisieren.

Zwischen allen Stühlen

Lucinda Williams
Lucinda Williams
Schmunzelnd erzählt sie im Verlauf des Konzertes, dass sie sich ewig bei Mary Chapin Carpenter für deren Cover-Version von "Passionate Kisses" bedanken wird, denn Carpenters Plattenfirma wollte den Song ursprünglich nicht als Single veröffentlichen, weil er nicht genug Country sei. Ironie des Schicksals: "Passionate Kisses" verhalfWilliams 1998 zum Grammy für den "besten Countrysong des Jahres", "obwohl der Song eigentlich gar nicht richtig Country ist", wie Lucinda Williams süffisant hinzufügt. Die 54-Jährige hat gelernt, mit dem "Dilemma" zu leben, dass sie sozusagen zwischen allen Stühlen sitzt. Nur eins scheint die dennoch zu nerven, wie sie dann beim wehmütigen "Drunken Angel" erzählt: Dass so viele Kritiker meinen, dass ihre Songs so düster und bitter seien. "Ich schreibe meine Songs in der Tradition des alten Country und Country-Blues. Da gibt es wirklich düstere Geschichten", meint sie, "dagegen sind meine Songs fast fröhlich."

"Keep On Walkin'"
Übrigens, der herbe Realismus ihrer Songs und auch die völlige Abwesenheit von Pathos und Sentimentalität sind sicher weitere Gründe dafür, dass Lucinda Williams kein Superstar ist. Dennoch machen ihre Songs Mut, wie zum Beispiel das trotzige "People Talking", in dem sie singt "Keep On Walkin'" - "Mach' einfach weiter, egal was die Leute sagen." Mit ihren großartigen Songs, ihrer berührenden, leicht brüchigen Stimme und der Intensität und Klasse ihrer tollen Band begeistert Lucinda Williams das Berliner Publikum, das lautstark unter Standing Ovations diverse Zugaben einfordert. Darunter ist eine exzellente Version des Doors-Klassikers "Riders On The Storm", bevor Lucinda Williams ihre Zuschauer mit dem hypnotischen "Unsuffer Me" in die kühle Nacht entlässt. Aber dafür hat sie zuvor zwei Stunden lang die Herzen der Zuschauer gewärmt. Ein großartiges Konzert.

vgw
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