"Compassion" heißt der Opener. Oder besser: Intro. Denn hier führt Lucinda Williams zu einer leisen Akustikgitarre und mit brüchiger Stimme den Hörer ein - in den 20 Titel umfassenden Klangkosmos von "Down Where The Spirit Meets The Bone", ihren Einstand bei Highway 20 Records. Der Song hat Magie und Esprit. Aber so ruhig und akustisch bleibt es nicht. Ganz und gar nicht, wie gleich mal "Protection" mit rabiaten Blues-Gitarren-Riffs und einem wuchtigen Off-Beat verdeutlicht. Ein exzellenter, druckvoller Track. Lucinda Williams singt und nölt über die rotzigen Gitarrensalven, ein diskreter Gospel-Chor sorgt für Wärme, ein Gitarrensolo für Virtuosität.
Die dreifache Grammy®-Gewinnerin ist mittlerweile 61 Jahre alt. Doch das sieht man ihr nicht an. Immer noch erinnert sie in ihrer skeptisch-hübschen aber sperrigen Art an Jane Fonda. Man hört es ihr aber auch nicht an. Auch wenn ihr Gesang zunehmend an eine heisere Patti Smith denken lässt. Doch Lucinda Wiliams ist keine Frau für zu viele Schminke und Make-Up, so lässt sie auch umfangreiche Klangkosmetik nicht zu. Recht so! Gut so! Denn so glaubt man der schlauen Tochter des Literaturprofessors Miller Williams auch jedes sorgfältig textgedichtete Wort.
Gelegentlich schlägt sie auf dem von ihr gemeinsam mit Greg Leisz und ihrem Ehemann Tom Overby produzierten Album auch gefälligere Songkost an: "Burning Bridges". Der moderate Country-Rocker geht ins Ohr, der Refrain bleibt auf Anhieb hängen. Gegen Ende des Titels lässt sie stimmlich - mit Verlaub - die Sau raus. So hat man die meist recht zurückhaltende dreifache Grammy-Gewinnerin vermutlich noch nie röhren gehört. Trotzdem hält das CD-Doppel noch Besseres parat.
Zum Beispiel gleich das nachfolgende, in seiner lässigen Blues-Rock-Art an die frühen Stones erinnernde "East Side of Town" und - als geografischer und auch musikalischer Spiegel - "West Memphis": ein wuchtiger, träge wie der Mississippi schiebender Country-Soul mit klasse Rasierklingen-Gitarre und Hobo-Harp. Exzellent! Daumen hoch!
Eine ähnliche Mixtur rührt Frau Williams auch auf der zweiten CD an. Raue Swamp-Blues-Rocker mit scharfen Gitarren ("Something Wicked This Way Comes"), Balladeskes, ins Ohr gehendes ("When I Look At The World"), Stones-Typisches ("Walk On"). Die Glanzlichter zünden der tonnenschwere Blues-Rock "Everything But The Truth", der tiefenentspannte Soul von "One More Day" und - als einziger echter Country-Song - das wunderbare "This Old Heartache" mit herrlichem Pedal-Steel-Guitar-Solo von Greg Leisz. Für das Finale sorgt der knapp zehnminütige, und damit entschieden zu lang ausgefallene Session-Track "Magnolia".
Fazit: Zwei CDs, 20 Tracks, jede Menge starker Songs im Grenzfeld zwischen Blues-Rock, Soul und Country. Seit "Car Wheels On A Gravel Road" war Lucinda Williams nicht mehr so gut wie hier.
Label: Thirty Tigers (Alive) | VÖ: 26. September 2014 |
Titelliste CD 1
Titelliste CD 2
01 | Compassion | 06 | Cold Day In Hell |
02 | Protection | 07 | Foolishness |
03 | Burning Bridges | 08 | Wrong Number |
04 | East Side of Town | 09 | Stand Right By Each Other |
05 | West Memphis | 10 | It's Gonna Rain |
01 | Something Wicked This Way Comes | 06 | Everything But The Truth |
02 | Protection | 07 | This Old Heartache |
03 | When I Look At The World | 08 | Stowaway In Your Heart |
04 | Walk On | 09 | One More Day |
05 | Temporary Nature (of Any Precious Thing) | 10 | Magnolia |