Was tun, fragte sich der Country-Star. Er entschied sich für einen Tapetenwechsel und ist mit Sack und Pack und Frau und den drei Kindern nach Telluride, Colorado, gezogen. Ein Jahr blieb Familie Bentley dort. Dann aber litt er unter Heimweh: "Ich war in Colorado glücklich", berichtete er dem Branchenblatt Billboard, "doch als ich nach Nashville zurückkam, wurde mir klar, wie sehr ich diese Stadt liebe - und wie wichtig sie für mich ist. Hier kann Kiesel pures Gold sein." Gravel & Gold.
"Gravel & Gold": gelungenes Comeback des Superstars
Diese neu entfachte Liebe zur Music Town USA wird auch auf seinem neuen, mittlerweile zehnten Studio-Album "Gravel & Gold" deutlich. Es ist - auch - eine Verneigung vor der Country-Szene, vor der Roots-Musik, vor Bluegrass und vor dem Gefühl, was Countrymusik ausmacht. Insgesamt hat Dierks Bentley für sein Comeback-Album nach fünfjähriger Tonträger-Pause 14 Tracks aufgenommen und co-produziert. Ergebnis ist eine Mischung aus glatten Mainstream-Songs, 90er-Jahre-Country-Rock und rustikalem Bluegrass.
Für den Opener hat sich der bärtige Sänger aus Arizona das durchaus trotzige "Same Ol' Me" ausgesucht. Ein kraftvoller, im Midtempo-Bereich angelegter Country-Rocker, bei dem er uns berichtet, dass er zwar auf seiner Gitarre nagelneue Saiten aufgezogen hat - dass er aber immer noch ganz der alte sei. Motto: "what you see is what you get". Die ehrliche Haut. Der authentische Künstler. Das klingt nicht nur gut, im Falle von Dierks Bentley, einem Künstler mit sechs Nummer-eins-Alben und 14 Grammy-Nominierungen, darf man das allemal abkaufen.
Der Song ist nicht mehr richtig neu. Genau wie "Gold", ein leidlich origineller, mit nicht ganz geglücktem Refrain versehener Country-Rocker und das deutlich bessere, gemeinsam mit Ashley McBryde eingesungene "Cowboy Boots" wurde "Same Ol' Me" bereits vor einiger Zeit veröffentlicht. Vorbooten für das Album. Appetizer für die Fans. Aber auch: Gradmesser des aktuellen Stellenwerts des Künstlers in der Szene. Die Erkenntnis dieser songbasierten Marktforschung dürfte Dierks Bentley nicht gerade euphorisch gestimmt haben. "Gold" zum Beispiel schaffte es nur auf Platz 22 der Country-Charts. Zu wenig für einen Künstler, der einen Privatjet in der Garage parken hat. Im Streaming-Bereich funktionierte der Track indes prima, auf Spotify wollten den Song immerhin über 17 Millionen hören (Stand VÖ-Tag des Albums, 24.2.23).
Weniger gut hat sich digital ein weiterer Vorabsong geschlagen: "High Note", mit dem derzeit gefeierten Bluegrass-Wunderkind Billy Strings. Vielleicht liegt das daran, dass eingefleischte Dierks Bentley-Fans ihren Star am liebsten rockig und hemdsärmelig mögen. Den Harley-Davidson-Bentley. Mit der eher subtilen, in den Roots der Country-Musik verorteten Version des Stars fremdeln womöglich viele, was schade ist. Denn "High Note", der letzte Song des Albums, bietet auf fünfeinhalb Minuten fantastischen, modernen Bluegrass mit, gegen Ende des Tracks, fulminanten Instrumental-Einlagen. Ob viele Streams/Clicks oder wenig - diese Art von Musik ist jedenfalls eine wichtige Facette des Künstlers Dierks Bentley.
"Gravel & Gold" zeigt die vielen Facetten von Dierks Bentley
Sein Profil prägt aber nach wie vor der eher glatte, für das Country-Radio maßgeschneiderte Mainstream-Country. In Titeln wie "Something Real", dem pathetischen "Walking Each Other Home" oder "Ain't All Bad" wird er diesem Status mit Country-Rock im Stadion-Format gerecht. Dennoch zeigt sich auf "Gravel & Gold", dass es ihn in Nashville in die Bluegrass- Clubs zieht. Ins "Station Inn", ins "Robert's" oder ins "Exit/In". Ein bißchen was von diesen hier gebotenen Klängen lässt er immer wieder in seine Songs einfließen. Vor allem in den ruhigen Titeln, wie in dem gefühlvollen Colorado-Vermächtnis "Sun Sets In Colorado", in dem gefälligen Folk von "Still" oder in dem herrlich wehmütigen, ganz im Sound der 90er Jahre angesiedelten "Old Pickup". Dass der Country-Sunnyboy in den letzten Jahren seinen berühmten Humor nicht verloren hat, zeigt "Gravel & Gold" aber auch. Am schönsten wird das in dem launigen, mit einem Jimi Hendrix-Zitat ("Hey Joe") versehenen "Beer At My Funeral" deutlich.
Fazit: Dierks Bentley hat seinen Sound-Radius erweitert - bleibt aber trotzdem ganz der Alte. Mit "Gravel & Gold" gelingt ihm ein glänzendes Comeback.
Label: Capitol Nashville (Universal) | VÖ: 24. Februar 2023 |
Disk 1 | |
01 | Same Ol' Me |
02 | Sun Sets in Colorado |
03 | Heartbreak Drinking Tour |
04 | Something Real |
05 | Still |
06 | Beer at My Funeral |
07 | Cowboy Boots |
08 | Gold |
09 | Walking Each Other Home |
10 | Roll on |
11 | All the Right Places |
12 | Ain't All Bad |
13 | Old Pickup |
14 | High Note |