Wie elastisch der furchteinflößend durchtrainierte Country-Star den musikalischen Spagat hinbekommt, wird im zweiten Drittel von "Sundown Heaven Town" deutlich: Auf den ruhigen, herrlich düsteren und fast akustisch angelegten Road-Song "Portland Maine" - ein absolutes Glanzlicht der CD - folgt mit der James Slater/Chris Tompkins/Mark Irwin-Komposition "Lookin' For That Girl" purer Pop: Drum-Computer, Soundspielereien, die Vocals laufen mal über einen Vocoder und erinnern an "Believe", den Cher-Hit Anno 1998. Okay, kein schlechter Track, mit netter Melodie und irgendwo in den Lyrics versteckt sich auch die titelgebende Zeile "Sundown Heaven Town" - aber das Arrangement ist eben unmissverständlich auf Pop gebürstet.
Geht das zusammen? Bei einem wie Tim McGraw schon. Er war nie ein Mann des stromlinienförmigen Establishments, er kreuzte schon immer mit Begeisterung gegen den Wind. Geschadet hat es ihm wahrlich nicht: 35 Nummer eins Hits und über 40 Millionen verkauften Alben gehen auf sein Konto. Mit dem neuen, erneut gemeinsam mit Byron Gallimore produzierten Album dürfte er seine prächtige Bilanz noch weiter verbessern. Ein Argument dafür dürfte das herzige Duett mit Ehefrau "Meanwhile Back At Mamas" sein, ein ruhiger, netter, balladesker Titel, der - im Gegensatz zu manchem früheren Duett des Country-Traumpaares - mit erfreulich wenig Kitsch auskommt.
Ganz und gar nicht kitschig fällt natürlich der rauhkehlige Zweigesang mit Buddy Kid Rock bei "Lincoln Continentals And Cadillacs" aus - zwei ganze Kerle schwärmen von alten Straßenkreuzern und beide sind sie super drauf. Doch, doch, das macht durchaus Laune.
Wie bei ihm üblich, stellt er im Anschluss gleich eine ganz andere Facette seiner komplexen Persönlichkeit aus: In "Kids Today" macht er sich tiefschürfende Gedanken über die nächste Generation. Seine mittlerweile recht wandlungsreiche Stimme führt ihn souverän durch die mit Geigen und Pathos aufgeladenen Strophen. Man könnte sagen: Power Ballade. Man könnte auch sagen: Kitsch. Beides trifft zu.
Viel unstrittiger gerieren sich alle ruhigen Songs, Titel wie: "City Lights", "Diamond Rings And Old Barstools" (ein Duett mit Catherine Dunn) und "Words Are Medicine". Einen Volltreffer landet er auch mit dem im Midtempo-Bereich angesiedelten "Shotgun Rider". Der dritte Song der CD erinnert in Melodie und Stimmung an seine frühen Alben wie zum Beispiel "Set This Circus Down".
Den musikalischen Tiefpunkt lotet der Mann mit dem schwarzen Stetson erst 13 Titel später aus: "I'm Feeling You" - ein erstaunlich platter Disco/Pop-Song, der mit seinen billigen Keyboards-Sounds an unglückselige Modern Talking-Zeiten erinnert. Mit "The View" und vor allem mit dem hymnischen "Black Jacket" sorgt McGraw aber dann doch noch für einen versöhnlichen Ausklang.
Fazit: 18 Titel hält die Deluxe-Version des neuen Albums bereit. Im Vergleich zum Vorgänger-Album zeigt sich der Superstar wieder verstärkt von seiner Country-Seite - kann sich aber ein paar Ausflüge in platte Pop-Gefilde nicht verkneifen. Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen.
Label: Big Machine (Universal) | VÖ: 26. September 2014 |
Titelliste der Deluxe-Version
01 | Overrated | 10 | Last Turn Home |
02 | City Lights | 11 | Portland, Maine |
03 | Shotgun Rider | 12 | Lookin' For That Girl |
04 | Dust | 13 | Still On The Line |
05 | Diamond Rings And Old Barstools (mit Catherine Dunn) | 14 | Lincoln Continentals And Cadillacs (mit Kid Rock) |
06 | Words Are Medicine | 15 | Kids Today |
07 | Sick of Me | 16 | I'm Feelin' You |
08 | Meanwhile Back At Mama's (mit Faith Hill) | 17 | The View |
09 | Keep On Truckin | 18 | Black Jacket |