Schon mal das Cover. War der Nashville-Superstar seit Jahren ein Garant für erlesene Optik und ein stimmiges Konzept, kommen Titelbild und Booklet ziemlich unausgegoren, wirr und flau daher. Außerdem kopiert er sich mit einigen Posen selbst: Stetson-Kopf nachdenklich nach unten, Hemd aufgeknöft. Nun ja, Cover hin oder her, es geht ja um die Musik ...
Doch auch da wärmt er so manches aus seiner eigenen Küche noch mal auf. Das liegt wohl weniger daran, dass er jetzt bereits zum dritten Mal mit seiner Tourband, The Dancehall Doctors, ins Studio ging. Vielmehr vertraut Tim McGraw auf eine bewährte Songzusammenstellung und auf ein vertrautes Songwriterteam. Dass sich da Parallelen zu "... And The Dancehall Doctors" und "Live Like You Were Dying" auftun, ist nur logisch.
"Let It Go" ist, um dies einmal klar zu machen, natürlich beileibe kein schlechtes Album. Ganz im Gegenteil. Es hat eine ganze Reihe von starken Momenten. So geht es gleich mal munter los mit der Big Kenny-Komposition "Last Dollar (Fly Away)". Der Song erinnert mit seinem dezenten Reggae-Touch an Joe Walshs Ende der 70er Jahre aufgenommene herrliche Selbstverarsche "Life's Been Good To Me So Far". Der Titel macht Laune - zumindest so lange, bis im Songende ein quitschender Kinderchor einsetzt. Die Amis lieben das ja ... Der nächste Song, "I'm Workin'", besticht durch ein klares, recht ruhiges und traditionelles Arrangement und robusten Charme. Aber auch - und das könnte der Leitfaden für die gesamte CD sein - durch eine mal unterschwellige, mal offensichtliche Nostalgie. So könnte man den Titel locker in den 60er Jahren orten.Die meisten anderen Tracks sind damit verglichen, moderner angelegt: sie gingen als 80er Jahre Songs mühelos durch. Zum Beispiel das mit sägenden Gitarrenriffs ausgestattete "Between The River And Me" aus der Feder von Brett Beavers und Brett und Brad Warren. Oder "Train # 10", bei demTim McGraw gemeinsam mit den beiden Warrens als Songautor fungierte. Bei "Suspicions" istMcGraws Faible für die Eighties natürlich am wenigsten zu überhören, landete doch der gute Eddie Rabbitt seinerzeit damit einen ordentlichen Hit.
Der 80er-Jahre-Fraktion stehen typische McGraw-Countryrocker - "Let It Go", "Put Your Lovin On Me" - und für seine Verhältnisse traditionelle Songs gegenüber - "Whiskey and You", "Shotgun Rider" und eine Ode an Kris, "Kristofferson". Diese Titel gehören zweifellos zu den stärksten Momenten der CD. Ohne dröhnende Arrangements und einer bisweilen doch zu penetrant sägenden Gitarre kann Tim McGraw hier seinen immer stärker werdenden Gesang am besten zur Geltung bringen.
Na ja, und dann gibt es auch noch die Standards, die unvermeidlichen Titel einer McGraw-CD. Richtig - die pathetische Craig-Wiseman-Ballade. In diesem Fall heißt sie "Nothin' to Die For" und sie knüpft, wie schon der Titel verrät, nahtlos am letzten großen Wurf "Live Like You Were Dying" an. Ein Duett mit seiner Liebsten, Faith Hill, darf natürlich auch nicht fehlen. Verursachten diese hormonbefeuerten Paarläufe bei so viel aufgetragenem Kitsch und Herz stets Sodbrennen, ist das Duett dieses Mal weitaus bekömmlicher: "I Need You", geschrieben von David Lee und Tony Lane, beschreibt in erfreulich traditionellen Tönen eine große Liebe.
Fazit: Klar, Tim McGraw ist lässig, sexy, cool. Dazu ein netter Kerl, ein treuer Ehemann und ein etwas geläuterter "Wilder Hund". Und so klingt auch die CD. Leider hat er sich so manches bei sich selbst abgeschaut.
Label: Curb (Warner) | VÖ: 18. Mai 2007 |
Titelliste
Links
01 | Last Dollar (Fly Away) | 08 | Nothin' to Die For |
02 | I'm Workin' | 09 | Between The River and Me |
03 | Let It Go | 10 | Train #10 |
04 | Whiskey and You | 11 | I Need You (mit Faith Hill) |
05 | Suspicions | 12 | Comin' Home |
06 | Kristofferson | 13 | Shotgun Rider |
07 | Put Your Lovin' On Me |
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