Marty Stuart - Ghost Train: The Studio B Sessions

Marty Stuart fühlt sich vielleicht ein bisschen wie der Nachlass-Verwalter von Johnny Cash. Und: Es gibt auch keinen Würdigeren. Nicht nur, weil er selbst in Big Johnnys Band gespielt hat und mal mit seiner Tochter Cindy verheiratet war. Auch weil er ein ähnlicher Typ mit einer ähnlichen musikalischen Vorstellungskraft ist. Und auch, weil Marty Stuart, genau wie Cash, ein Mann mit Überzeugungen und einem bis zum Starrsinn treibenden Willen ist.
Anbiedern an den Trend ist für den für seine, ähem, leider etwas geschmacklosen Klamotten berühmt-berüchtigten Marty Stuart nicht drin. Nie drin gewesen. Er macht sein Ding, geht seinen Weg. Manchmal verläuft sein Kurs parallel zum Zeitgeist und Mainstream, dann landet er auch weit vorne in den Charts. Wenn aber die Masse nach Rap-Einlagen und harten Gitarren-Riffs ruft, dann driften Stuart und Mainstream auseinander. Schade - vor allem für den Mainstream ...

Mit "Ghost Train - The Studio B Sessions" legt der Ende September 52 Jahre alt werdende Sänger und Songschreiber ein Meisterwerk vor. Nicht mehr, nicht weniger. Die CD ist vom ersten bis zum 14 Track mit herausragenden, stimmigen, gefühlvollen und extrem kompetent umgesetzten Songs bestückt. Kein Durchhänger, kein Füllmaterial, kein Alibi-Track.

Obwohl die füllige, meist gen Himmel hoch geföhnte Frisur zunehmend grau wird, zeigt er musikalisch keinerlei Ermüdungserscheinungen. Ganz im Gegenteil. Er geht das Album mit einer Frische und Hingabe an, als handele es sich dabei um sein Debüt (das mittlerweile 25 Jahre zurück liegt). Vielleicht ist es aber die Gewissheit, alles erreicht zu haben, die Stuart so souverän erscheinen lässt. "Alles erreicht" - das ist natürlich relativ. Denn in Sachen Hits und Millionenseller wäre schon noch Luft nach oben. Doch was sein Ansehen in der Countrygemeinde Nashvilles betrifft, ist Stuart mittlerweile das Maß der Dinge. Völlig zu Recht, wie man hier wieder hören darf...

Bei "Ghost Train" konzentriert sich Stuart auf die klassischen Country-Tugenden: kleine Stories, Geschichten aus dem Leben, mit jeder Menge Pedal-Steel-Guitar und Nostalgie angereichert. Weil Sound und Songs so stimmig traditionell daher kommen, ginge die CD auch als Veröffentlichung aus den 60er- oder 70er Jahren durch. Denn selbst wenn es, wie beim Opener "Branded", rockig wird, dann keinesfalls zeitgemäß brachial. Meist aber bewegen sich der Sänger und Gitarrist und seine grandiosen Begleiter - darunter Gitarrist Kenny Vaughan und Drummer Harry Stinson - ohnehin in ruhigen und balladesken Gefilden. Ergebnis sind herrliche Tracks wie "Drifting Away", "I Run to You" (ein Duett mit Connie Smith), das berührende "Porter Wagoner's Grave" oder das düstere, an Johnny Cash erinnernde "Hangman".

Ab und an würzt er seine Musik mit Blues-Tönen und Shuffle-Rhythmen ("Ghost Train Four-Oh-Ten"), mit Tex-Mex-Klangfarben ("Little Heartbreaker (The Likes of You)" oder mit Instrumental-Einlagen. Die Besten: "Mississiippi Railroad Blues" und das Gitarrensolo von Kenny Vaughan bei "Country Boy Rock & Roll". Fantastisch!

Fazit: Cash ist tot - es lebe Marty Stuart. Nashville hat derzeit keinen besseren, überzeugenderen und glaubwürdigeren Interpreten des Genres zu bieten. Die CD: eine Meisterleistung!