Seine Biografie klingt ohnehin nach Hollywood-Drehbuch: 1966 in Portland geboren; in Houston, Texas, aufgewachsen, mit 15 von zu Hause ausgebüchst, um wieder in Portland zu leben. Dann folgten - als zwischenzeitliche Adressen - Santa Rosa, Kalifornien und Austin, Texas. Mit 20 wurde der Wandervogel schließlich sesshaft: in Memphis, Tennessee. Wie man nicht erst seit Elvis und B.B. King weiß, kein schlechter Ort für Musik. Auch nicht für Todd Snider.
Eine Messe der besonderen Art: "First Agnostic Church of Hope and Wonder"
Immerhin ist "First Agnostic Church of Hope and Wonder" bereits Todd-Sniders 19. Album-Streich. Wer sich jedoch seine Diskografie ansieht, muss feststellen, dass er es in seiner langen Karriere auf nicht sonderlich viele Einträge in oberen Charts-Regionen gebracht hat. Einige Alben landeten auf respektablen Plätzen der US Heat-Charts, manche im Mittelfeld der US-Indie-Bestenliste. Sein 2012 erschienenes Album "Agnostic Hymns & Stoner Fables" konnte sich immerhin auf Platz sechs der Folk-Hitparade platzieren. Enttäuschend dürfte für ihn aber wohl das eher klägliche Abschneiden seines 1994 erschienenen Debüt-Albums "Songs for the Daily Planet" gewesen sein. Schließlich konnte er dafür den damals mit einem Hit-Abo ausgestatten Tony Brown (Brooks & Dunn, Vince Gill, George Strait) als Produzenten gewinnen. Dennoch sprang nicht mehr als Platz 23 in den US Heart-Charts heraus.
Zumindest nicht auf den ersten Blick. Denn: Zwei seiner Debüt-Album-Songs brachten es in den Versionen von Mark Chesnutt und Gary Allan immerhin zu Hit-Ehren. Fortan genoss Todd Snider zumindest unter Kollegen und Kennern großes Ansehen. Status: Geheimtipp. Vielleicht aber auch: ewiger Geheimtipp. Denn - und damit sind wir wieder im Hier und Jetzt - auch sein neues Album "First Agnostic Church of Hope and Wonder" dürfte für den kompromisslos gegen den Mainstream schwimmenden Musiker keine allzu große kommerzielle Ernte einfahren. Dafür sind die (nur) zehn Tracks einfach mit zu grober Nadel gestrickt. Allesamt Songs, die man sich als Hörer in gewisser Weise erarbeiten muss; die man öfters hören sollte, die man kennen und dann (vielleicht) auch lieben kann. Damit stehen die Tracks von "First Agnostic Church of Hope and Wonder" nahezu diametral zu heutigen Hit-Anforderungen, wonach ein Song vor allem eine zwingende, sofort erschließbare Hookline aufweisen sollte. Todd Snider macht da hörbar nicht mit.
Da geht er lieber seinen eigenen Weg. Ein Weg, der ihn gelegentlich in die musikalische Vergangenheit führt. Zu den Roots des Folk, in die Zeit der musikalischen Experimente und kreativen Wagnisse. Man nehme nur "The Get Together". Nur zwei Minuten 39 Sekunden ist der Song lang - doch in diese 159 Sekunden lässt der 54-Jährige ein ganzes Potpourri an Einfällen und Einflüssen einfließen: bluesig-souligen Groove, funky Gitarre, Gospel-Chor, sowie sessionhafte Lässigkeit und hintergründigen Text. Tatsächlich: "The Get Together" bringt alles zusammen. Ähnlich collagenhaft angelegt sind auch die nachfolgenden Tracks "Never Let a Day Go By" und die von Greenpeace bestimmt gern gehörte Umweltsünden-Anklage "That Great Pacific Garbage Patch" ("Die große pazifische Müllhalde").
Todd Snider macht auf "First Agnostic Church of Hope and Wonder" keine Kompromisse
Ein Song über die Verschmutzung der Weltmeere. Wann ließ sich schon mal aus dem Country- oder Americana-Fach hören? Vermutlich hätte er diesen schon fast nachrichtlichen Text in ein glitzerndes Rascal Flatts-Soundkostüm packen können, trotzdem hätte er wohl nur minimale Airplay-Chancen. Klar, wer will schon über globale Probleme etwas hören, wenn es sich auch trefflich über Pickups und eiskaltes Bier singen lässt?
Im Mittelteil der "First Agnostic Church of Hope and Wonder"-Messe schlägt er persönliche und - auch - traurige Töne an. In "Handsome John" verneigt er sich vor John Prine: eine über viereinhalbminütige Hommage an sein verstorbenes Songwriter-Idol, spartanisch mit Klavier, Mundharmonika und Gesang ausgestattet. Keine Frage, John Prine hätte seine Freude an dem Lied gehabt. Im nachfolgenden Folk-Song "Sail On My Friend" erinnert er gefühlvoll und berührend an seine zwei verstorbenen Wegbegleiter: Neal Casal und Colonel Bruce Hampton.
Gegen Ende der CD nimmt die Messe aber wieder Fahrt auf: "Battle Hymn of the Album" ist ein flotter, schlitzohriger, einem Kinderlied nachempfundener Alternative-Folk-Gospel, "Stoner Yodel Numer One" überzeugt als funky-jazzy Americana-Song mit Querflöte und pochendem Beat und bei "Agnostic Preacher's Lament" bekommen wir eine sehr spezielle Klagepredigt zu hören. Mit "The Resignation vs. The Comeback" klingt das Album so aus, wie es begonnen hat: mit einem ganzen Füllhorn aus musikalischen Zitaten, Ideen und Einflüssen. Ein Gebräu, das zu gleichen Teilen aus Folk, Jazz, HipHop und Americana besteht. Oder anders gesagt: Zu 100 Prozent aus Todd Snider. Der Mann ist endgültig sein eigenes Genre.
Fazit: Eine Messe für musikalische Freigeister: "First Agnostic Church of Hope and Wonder" von Todd Snider. Der Mann schwimmt nach wie vor unverzagt gegen den Mainstream an, Respekt!
Label: Aimless / Thirty Tigers (Membran) | VÖ: 24. April 2021 |
01 | Turn Me Loose (I'll Never Be the Same) |
02 | The Get Together |
03 | Never Let a Day Go By |
04 | That Great Pacific Garbage Patch |
05 | Handsome John |
06 | Sail on, My Friend |
07 | Battle Hymn of the Album |
08 | Stoner Yodel Number One |
09 | Agnostic Preacher's Lament |
10 | The Resignation vs. The Comeback Special |