Mit "Wanderlust" gehen Little Big Town auf musikalische Reise
"Wanderlust" darf man gerne wörtlich nehmen. Schließlich geht es um eine kleine Reise: von ihrem angestammten Platz – so ziemlich in der Mitte des Country-Mainstreams – mal woanders hin (wandern), in neue, fremde, exotische musikalische Gefilde. Eine Reise mit allen Konsequenzen. Dafür sorgt schon mal ihr Reisebegleiter, Hit-Produzent Pharrell Williams ("Happy"). Mit einem Mann wie Williams an der Seite darf man musikalisch so ziemlich alles erwarten, nur eben keinen Country. Aber: Man darf sich auf erstklassiges Handwerk, auf ein glückliches Händchen für muntere Melodien und Rhythmen und – das sowieso – auf ausgeklügelte Sounds und Arrangements freuen. Dieses Versprechen löst "Wanderlust" tatsächlich ein.
Die vier von Little Big Town hatten bei diesem genauso mutigen wie kritischen Musik-Experiment hörbaren Spaß. Jeder einzelne Song belegt dies – mit ausgelassener Stimmung, Party-Atmosphäre, vollem Engagement und viel, viel Energie. Man nehme nur den Song "One Of These Days". Ein Keyboard sorgt mit synkopierten Akkorden für einen vertrackten, dennoch extrem motivierenden Groove. Etwas jazzig klingt das. Latin-inspiriert. Die Melodie ist so sonnig wie ein Augusttag in Acapulco. World-Music-Tupfer treffen auf ausgefuchste Harmony-Vocals. Ein Song, bis zum Bersten voll mit Elan und Temperament. Wer sich eine Mischung aus dem Jazz-Quartett Manhattan Transfer, dem Latin-Urgestein Sergio Mendes und jenem erwähnten Pop-Papst Pharrell Williams vorstellen kann, bekommt eine Ahnung von dem hier angerührten Sound-Gebräu. Obwohl der Song wegen seines dichten Arrangements eine gewisse Eingewöhnungsphase benötigt, könnten Little Big Town damit auch mal in deutschen Radios punkten. Verdienen würde es sich der Track jedenfalls allemal.
Little Big Town – mit "Wanderlust" ins deutsche Radio?
Airplay-Qualitäten bringen gleich mehrere Songs von "Wanderlust" mit. Beispielsweise auch das soulige, im alten R&B angesiedelte "Miracle". Auch hier zieht das sympathische Quartett alle Register – von Kopfstimme à la Marvin Gaye, über Prince-typische Refrain-Führung bis hin zum pulsierenden Vibe der frühen Earth, Wind & Fire. Sehr soulig, sehr retro – und damit wohl sehr angesagt. Letzteres dürfte auch für den Titel "Work" zutreffen. Die Wanderlust führte den Vierer hier in hippe Dancehall- und Reggae-Gefilde. Natürlich nicht in die düstersten Winkel dieser Genres, sondern in die hell beleuchteten. Viel Elektronik trifft bei diesem Track auf eine wummernde Orgel und auf ein originelles Gebläse. Kenner der Materie werden vielleicht auch noch Essenzen aus Ska und Reggae herausfiltern – wir geben uns mal mit dieser eher oberflächlichen Betrachtung zufrieden. Was bestimmt auch ganz im Sinne von Little Big Town sein dürfte. Denn eines steht fest: Die Songs von "Wanderlust" sind nicht für das Hirn und für staubtrockene Analysen gemacht, sondern für Herz, Tanzbein und fürs Spaß haben.
"One Dance", ein weiterer der acht neuen Tracks, unterstreicht das. Und wie: fett, mit Handclap-Rhythmus, funky Grooves, einem Mix aus Retro- und modernsten Sounds. Dazu Soul, Hippie-Feeling, Dancefloor-Drive und die vier Sängerinnen und Sänger in Bestform sorgen auch bei diesem Track für eine scharfe Mixtur. Tja, Little Big Town haben sich mit dem Album vielleicht nicht neu erfunden. Sie haben sich aber – was bei renommierten Acts ja nicht so häufig vorkommt – auf eine musikalische Reise in ein für sie neues Terrain eingelassen. Dass die Band auch in dieser Umgebung zu überzeugen weiß, muss nicht überraschen: Die vier sind dafür einfach zu talentiert.
Fazit: Nein, es ist noch nicht Weihnachten. Aber "Wanderlust", das neue Album von Little Big Town, lässt einen dafür schon fast wieder an den Nikolaus glauben. Nichts ist scheinbar unmöglich. Tipp: Reinhören, Spaß haben. Auch wenn Country nur bei "C’mon" ganz dezent ins Klangbild einfließt.
Label: Capitol Nashville (Universal) | VÖ: 10. Juni 2016 |
01 | One Dance |
02 | C'mon |
03 | One of Those Days |
04 | Work |
05 | Skinny Dippin' |
06 | Willpower |
07 | Miracle |
08 | The Boat |