Titel und Covergestaltung - die Vier in sommerlichem Bunt vor blauem Himmel - sind natürlich stets ein Statement. Ein Wink, in welche musikalische Richtung die Reise dieses Mal geht. Man könnte ahnen: in die süße Welt der Unbeschwertheit - und liegt damit alles andere als falsch. Es geht in den 16 Tracks der CD jedenfalls mehrfach um die positiven, die sonnenbeschienenen Seiten des Lebens, um Resilienz, um Hoffnung, um das Licht am Ende des Tunnels. Okay, die Welt um einen herum mag am Rad drehen, was soll's? Wir hören "Mr. Sun" und denken uns: alles halb so schlimm.
Macht das Leben leichter: "Mr. Sun" von Little Big Town
Für Marx war Religion "Opium für das Volk". Musik kann das auch leisten. Sie kann auch Übertünchen und Probleme Wegsingen und - vor allem - von einer besseren Welt träumen lassen. Völlig legitim ist das. Der Mensch hält nur ein bestimmtes Quantum an schlechten Nachrichten aus, da tut ein Album wie diese Country-Easy-Listening-Perle "Mr. Sun" von Little Big Town (LBT) nicht nur gut, es erfüllt auch einen therapeutischen Zweck. Kurz mal Pause von der Welt da draußen machen. Mal durchschnaufen und die rosa Brille aufsetzen.
Mit "All Summer" starten LBT in das Album. Der Titel ist Programm. Ein netter Song, ein Track, der die Leichtigkeit des Sommers mit luftigen Harmonien und Texten, die nach einer Positiv-Denken-Meditation klingen, prima einfängt. Und damit die Frage aufwirft, warum das Album erst jetzt im Herbst erscheint? Egal… Kaum ist man bei den gemütlichen Vintage-Pop-Klängen des rund dreiminütigen Openers beseelt am Wegdämmern, weckt einen "Better Love". Ein knackiger Country-Pop-Rock-Song. Sehr lässig arrangiert, sehr druckvoll eingespielt und Kimberly Schlapman zeigt mal wieder, wie stark sie rocken kann, wenn sie nur will. Ein erstes Highlight der CD!
"Mr. Sun" - der Titeltrack setzt ein starkes Highlight
Das nächste setzt der Titelsong: "Mr. Sun" ist eine sehnsuchtsvolle, sehr traditionell komponierte und auch wenig hip umgesetzte Country-Soul-Ballade. Ein großartiger, ebenfalls im Retro-Feeling angelegter Track, den man immer wieder hören kann. Auch weil er mit einem fulminanten Slide-Gitarren-Solo ein virtuoses Glanzlicht bereithält. Tja, so sollte es weitergehen. Tut es natürlich nicht. Wie immer, schreiten LBT auch auf "Mr. Sun" eine ganze Reihe von Sounds und Stilrichtungen ab. Im anschließenden "Three Whiskeys and the Truth", geschrieben von Hillary Lindsey, Lori McKenna und Liz Rose, die auch schon den 2014er Hit "Girl Crush" verantworteten, geht es beispielsweise gleich mal in sehr melodische, sehr verhaltene Country-Folk-Gefilde im Stile der frühen Fleetwood Mac. Schöner Track!
"One More Song", der nächste Titel, erinnert dagegen an Lady Gaga und ihrem "A Star is Born"-Hit: viel Klavier, viel Pathos und viel, viel Gefühl. Kimberly Schlapman und Phillip Sweet drücken hier stimmgewaltig gemeinsam auf die Tränendrüse. Kann man mögen, muss man nicht. Über den nächsten Titel gibt es dagegen keine zwei Meinungen: "Heaven Had a Dancefloor" ist tatsächlich so flach, wie der Titel befürchten lässt. Ein blutleerer, vor Text- und Melodie-Klischees nur so triefender Song aus einem Genre, das eindeutig nicht das ihre ist. Einen Song wie diesen sollte man besser Kylie Minogue oder Madonna überlassen.
Zum Glück bleibt es bei diesem einmaligen Ausrutscher. Der Rest des Albums erfüllt ausnahmslos die hohen Qualitäts-Kriterien, die man bei Little Big Town anlegen darf: "Gold" sorgt mit nettem, entfernt an Hall & Oates erinnerndem souligen Country-Pop für gute Laune, das von Jimi Westbrook im Alleingang geschriebene "Rich Man", ein sehr zurückhaltend im Folk angelegtes "ich habe nichts außer Liebe und meine Familie, doch das reicht mir" überzeugt mit Tiefgang und Herz (angeblich hat er über zehn Jahre an diesem Song gearbeitet), das liebliche "Different With You" ist ein Mutmacher nach einer Trennung und "Whiskey Colored Eyes" erinnert mit sonnendurchflutetem Country-Folk an die frühen Eagles.
Mit dem ganz auf Akustik-Gitarre und Chorgesang basierenden "Last Day On Earth" und der emotionalen Ode an die Little Big Town-Fans "Friends of Mine" (ein Song, den alle Vier gemeinsam geschrieben haben) beenden Little Big Town ihr neues Album. Souverän und mit der ganzen Klasse eines routinierten Top-Acts.
Fazit: "Mr. Sun" ist ein lässiges, positiv gepoltes Album, das Little Big Town erneut in bestechender Form erlebt. Von kleinen Ausrutschern abgesehen, eine CD, die einem den Tag verschönern kann.
Label: Capitol Nashville (Universal) | VÖ: 16. September 2022 |
01 | All Summer |
02 | Better Love |
03 | Hell Yeah |
04 | Mr. Sun |
05 | Three Whiskeys and the Truth |
06 | One More Song |
07 | Heaven Had a Dance Floor |
08 | Gold |
09 | Rich Man |
10 | God Fearing Gypsies |
11 | Different Without You |
12 | Whiskey Colored Eyes |
13 | Song Back |
14 | Something Strong |
15 | Last Day on Earth |
16 | Friends of Mine |