Denn die Grenze zwischen Kunst und Kitsch verläuft nie schmaler und fließender als zur schönen Weihnachtszeit. Vor lauter Lust an der puren Harmonie muss man deshalb dezente Geschmacksverirrungen immer in Kauf nehmen. Vor allem, wenn man wie Rhonda Vincent in dem ohnehin vermutlich emotionalsten Musik-Genre - Country - tätig ist. Aber keine Sorge, die Ausrutscher halten sich in Grenzen, die positiven Noten der zwölf Titel überwiegen bei Weitem.
Bevor sich Rhonda Vincent mit ihren Begleitern - darunter Stuart Duncan an der Fiddle, die Gitarristen Bryan Sutton und Josh Williams und Akkordeon-Spieler Jeff Taylor - an vertraute Christbaum-Hits machen, servieren sie selbst Gebackenes: "Christmas Time At Home" heißt das aus bodenständigen Bluegrass-Zutaten gefertigte Weihnachtsplätzchen, das neben der Sängerin auch Banjo-As Ron Stewart in Höchstform zeigt. Der Titel ist hübsch - aber mit dem Weihnachts-Klassiker wie dem nachfolgenden 2The Christmas Song" aus der Feder der Jazz-Komponisten Mel Torme und Robert Wells kann der Opener einfach nicht mithalten. Der grandios interpretierte Song wirkt so süffig und anregend wie eine große Tasse Weihnachtspunsch. Wenn es dazu noch schneit ... Ja, genau so sollte Weihnachtsmusik klingen. Das Erstaunliche: Das nur mit Gitarre, Kontrabass und Piano arrangierte Lied klingt hier mindestens so überzeugend, wie im Original.
Die nachfolgenden Titel bieten zunächst mal keine besondere Weinachtsüberraschung: "Rockin' Around The Christmas Tree", "Beautiful Star of Bethlehem", "Chrismas Time's A Comin'" und das immer wieder putzige "Let It Snow" sind bewährte X-Mas-Evergreens - und selbst, oder vor allem, in der spartanischen Bluegrass-Version der stimmgewaltigen Rhonda Vincent irgendwie unwiderstehlich. Gleiches gilt nicht unbedingt für die zwei Ausflüge in die europäische, beziehungsweise deutsche Weihnacht: "Silent Night" und "Oh Christmas Tree", die amerikanischen Brüder von "Stille Nacht" und "Oh Tannenbaum". Vermutlich liegt es an den Hörgewohnheiten, dass zu diesen so vertrauten Melodien Fiddle und Banjo eigentümlich dezplaziert wirken. Das anschließende "Winter Wonderland" erscheint dagegen jedenfalls wieder wesentlich homogener.
Dass Interpreten mit "Jingle Bells" ein Problem haben, kann man verstehen. Der Song fehlt einfach auf keiner Weihnachts-CD - und jeder neue Sänger, jede neue Sängerin möchte dann doch irgendwie die so oft besungenen Schlittenglöckchen etwas anders erklingen lassen. Auch Rhonda Vincent. Weil der fröhliche Schnee-Spaß-Song besonders gut Kindern gefällt, wie der Autor dieser Besprechung aus eigener Erfahrung weiß, hat sich die Sängerin eine bunte Kinderschar aus dem Familien- und Musikerkreis um sich geschart. Resultat: In Micky-Maus-Manier geht's auf Schlitten-Trip. Wer die Version von Willie Nelson liebt, möchte nicht unbedingt da mitfahren. Doch vermutlich muss man Amerikaner sein, um diese Version zu mögen ... Beim feierlichen "Away ina Manger" ist aber dann auch der kritische Mitteleuropäer wieder ergriffen.
Fazit: Eine gediegene, familiäre Bluegrass-Weihnacht mit einigen Glanzlichtern - aber auch ein paar Fehlgriffen.Label: Rounder (in-akustik) | VÖ: 17. November 2006 |
Titelliste
Links
01 | Christmas Time At Home | 07 | Silent Night |
02 | The Christmas Song | 08 | Oh Christmas Tree |
03 | Rockin' Around The Christmas Tree | 09 | Winter Wonderland |
04 | Beautiful Star Of Bethlehem | 10 | Jingle Bells |
05 | Christmas Time's A Comin' | 11 | Away In A Manger |
06 | Let It Snow | 12 | Twelve Days of Christmas |
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