Die Statue, die sie als Zeichen dieses speziellen Zirkels bekommen hat, stünde gleich im Eingangsbereich ihres Hauses. "So sehe ich sie immer wieder und gewöhne mich langsam an den Gedanken." Am gleichen Tag ihrer Aufnahme, kam auch Country-Kollege Dierks Bentley zu dieser Ehre. Mit ihm hat Rhonda Vincent den Song "Mama Tried" gesungen - und mit Brad Paisley stand noch ein kleines TV-Special an. Tja, ein bisschen Glamour muss schon sein. Selbst für eine bodenständige Bluegrass-Künstlerin...
Rhonda Vincent steht für Qualität
Diese Auszeichnung markiert vermutlich den Höhepunkt ihrer Karriere. Eine sehr, sehr lange Karriere ist das übrigens: Bereits mit fünf Jahren spielte sie schließlich in der Familienband der Vincents - die Sally Mountain Show - Schlagzeug, mit acht lernte sie Mandoline und mit zehn kam noch Geigenunterricht dazu. Seit 1990 veröffentlicht die Schwester von Darrin Lee, die eine Hälfte von Dailey & Vincent, Solo-Alben. Ausnahmslos jedes Werk verdiente sich erstklassige Kritiken und einen Spitzenplatz in den Genre-Charts. So darf man getrost davon ausgehen, dass auch "Music is What I See" einen der vordersten Plätze in der Bluegrass-Bestenliste erringen wird. Warum auch nicht? Denn mit den zwölf Titeln ihrer neuen CD bietet sie erneut hochkarätige, musikalisch großartige und dazu sensibel aufgenommene Bluegrass- und Roots-Musik-Songs. Genau der Stoff, den ihre Fangemeinde von ihr erwartet.
Rhonda Vincent lebt und liebt diese Musik. Sie ist Teil ihrer Biografie, ihrer DNA. Das zeigt sich schon in den ersten Takten des schwungvollen, gut gelaunten Einstiegs-Songs "What Ain't to Be Just Might Happen": Eine Fiddle geigt fröhlich auf, ein Kontrabass sorgt für das Fundament, nach zehn Sekunden gesellen sich perlende Mandolinenläufe dazu. Sehr urig. Sehr rustikal. Aber auch sehr virtuos. Man wähnt sich als Hörer in einem Honky-Tonk-Schuppen irgendwo in Tennessee, als nach weiteren zehn Sekunden die kristallklare Stimme der 58-jährigen Künstlerin erklingt. Wer für Roots-Musik keine Ader hat, wird sich vielleicht langweilen. Wer aber für die klingenden Traditionen aus Kentucky und den Smoky Mountains empfänglich ist, dürfte dem Sound dieses kleinen, feinen Ensembles zufrieden schmunzelnd lauschen. Ja, so geht Roots-Musik. Genau so!
"Music Is What I See": mehr als "nur" Bluegrass
Natürlich ist das Klangspektrum einer Bluegrass-Formation reduziert. Ohne Drums und Keyboards, ohne E-Gitarre und Pedal-Steel lässt sich nicht jeder Sound, nicht jede stilistische Facette generieren. Schlimm ist das nicht. Schon gar nicht, wenn Rhonda Vincent zu Werke geht. Als meisterhafte Virtuosin und Sängerin sind ihr ohnehin einige Stil-Optionen gestattet - was sie bereits im zweiten Song "False Hearted Love" andeutet. In dem Country-Blues oder besser Blues-Country berichtet sie von unaufrichtiger Liebe. Ein groovender Song, der das Zwölf-Takt-Schema mit staubigem Country-Feeling vermählt.
Zum Roots-Musik-Kosmos zählen natürlich auch noch andere Ausprägungen. So einige davon stellt sie in "Music's What I See" aus: Wohlklingenden, friedfertigen Folk (Titeltrack, "There's a Record Book"), puren, unverfälschten Country ("Slowly"), Gospel ("Everybody will Be Happy Over There") und - das muss sein - ein rasanter Bluegrass, bei dem Vincent & Co. ihren Fingern freien Lauf lassen ("I' Like to Be a Train"). Wie fließend die Grenze zwischen Bluegrass und Country ist, zeigt sie in der wundervollen Ballade "I'm Still Not Over You". Ein großer Song, großartig instrumentiert und gesungen.
Im Schlußdrittel der CD wird Rhonda Vincent in zwei Songs nostalgisch. "I Ain't Been Nowhere" erinnert sie mit Doo-Wop-Chören, einer schmachtenden Melodie mit aufsteigenden Harmonien an die Gründertage des Rock 'n' Roll. Noch deutlicher wird diese Referenz in der Coverversion des Klassikers "Unchained Molody". An dem 1955 komponierten Track haben sich ganze Hundertschaften an Künstlern und Künstlerinnen versucht (von Elvis über Duane Eddy bis Willie Nelson). Niemand aber hat dem Schmuse-Schmuckstück eine derartig köstliche Dosis Bluegrass injiziert, wie Rhonda Vincent und ihre Begleiter.
Fazit: Rhonda Vincent brilliert auf ihrem neuen Album "Music is What I See" als so kompetente wie virtuose Pflegerin der Musiktraditionen. Bluegrass ist dabei nur eines von mehreren Stilmitteln.
Label: Upper (Eigenvertrieb) | VÖ: 28. Mai 2021 |
There's a Record Book
01 | What Ain't to be Just Might Happen |
02 | False Hearted Love |
03 | Music's What I See |
04 | Like I Could |
05 | I'd Like to be a Train |
06 | I'm Still Not Over You |
07 | It's Me Again |
08 | Slowly |
09 | I Ain't Been Nowhere |
10 | Unchained Melody |
11 | Everybody Will Be Happy Over There |
12 | Bible Verses |