Warum nicht wieder ein Dutzend feiner, gleichermaßen traditioneller wie angesagter Country-Songs auf einen Longplayer packen und schon geht's weiter die Karriereleiter hoch.
"Lindeville": ein anspruchsvolles Konzept-Album
Gut, das gelingt ihr vielleicht auch mit ihrem neuen Album "Lindeville". Vielleicht geht's sogar hurtiger und weiter nach oben, als mit einer konventionellen CD. Gesagt ist das aber nicht. Denn "Lindeville" macht es dem geneigten Hörer (die Hörerinnen sind freilich immer mit einbezogen, liebe Damenwelt) nicht so richtig einfach. Es steckt eine Story hinter dem Werk. Ein Grundgedankte, eine Leitidee und die ist alles andere, als von der Stange. "Lindeville" ist zunächst einmal dem 2006 verstorbenen Country-Songwriter Dennis Linde gewidmet. Sein größter Hit aus seiner Feder ist "Burning Love", der zeitlose Elvis-Klassiker. Darüber hinaus schrieb er Tracks für Garth Brooks ("Callin' Baton Rouge"), Mark Chesnutt ("Bubba Shot The Jukebox"), Joe Diffie ("John Deere Green") und - sein letzter großer Treffer - "Goodbye Earl" für die Chicks.
Alles in allem landete Linde kaum mehr als ein halbes Dutzend Hits. Das ist nicht gerade viel. Aber er war in Nashvilles-Songschreiber-Szene nicht nur ein überaus beliebter Kollege, er hatte auch seinen eigenen Songschreiber-Stil. Er zeichnete Charaktere so detailliert und lebensnah, dass man die Figuren zu kennen glaubte. Und wer genau aufpasst, erkennt in verschiedenen Songs die gleichen Typen. Diese Arbeitsweise hat Ashley McBryde für "Lindeville" adaptiert. Sie nimmt sich selbst bei dem Werk übrigens etwas zurück, so heißt die LP offiziell auch "Ashley McBryde presents: Lindeville". Das deutet bereits an, dass die Sängerin eher eine Art Moderatorin ist. Sie führt durch das Programm des Konzept-Albums und übernimmt - das ist so erstaunlich wie ungewöhnlich - nicht einmal in jedem Song die erste Gesangsstimme.
Damit zollt die für ihren grundehrlichen, robusten, frei-von-der-Leber-Charme bekannte Sängerin ihren künstlerischen Mitstreiter/innen Rechnung. Ein Album ist ja grundsätzlich immer Resultat einer Teamleistung. Mit "Ashley McBryde presents: Lindeville" teilt sie das Spotlight und tritt bei einigen Tracks bescheiden in den Hintergrund, während Acts wie Brandy Clark oder Brothers Osborne die Lead-Vocals übernehmen. Um "Lindeville", dieses fiktive Kaff im Herzen der USA, mit Leben zu füllen, streut Ashley McBryde immer wieder halbminütige Radio-Jingles für Phantasie-Produkten ein. Man sieht: da hat sich jemand so richtig Gedanken gemacht.
Das tut Ashley McBryde aber sowieso. Ihre Songs zeichnet seit Karrierebeginn eine seltene Authentizität aus. Sie weiß, wovon sie singt. Sie hat das erlebt. Und sie packt auch Eisen an, die vielleicht nicht glühend heiß, aber allemal abseits des Mainstreams sind. Das gilt beispielsweise gleich für den Opener "Brenda Put Your Bra On". Ein bluesiger, knochentrockener Country-Rock 'n' Roller mit einer Melodie, die dem Verfasser dieses Textes verdammt bekannt vorkommt (aber trotz intensiver Bemühungen nicht draufkommt. Wer einen Tipp hat: bitte melden). Ein Song über eine Trailer-Park-Siedlung, in der ein Typ seine Frau mit der Babysitterin betrügt. Harter Tobak? So ist das Leben! Auch in Lindeville. Bluesig und folkig, entfernt im Clapton-Fahrwasser lässig dümpelnd, geht es mit "Jesus Jenny" weiter - gleich mal ohne Ashley McBryde vor dem Mikro.
Ashley McBryde fungiert als Moderatorin, als Reiseführerin von "Lindeville"
Dann kommt schon der erste halbminütige Radio-Spot über ein gewisses "Dandelion Diner". Spätestens hier wird klar, dass viele Ambitionen hinter "Ashley McBryde presents: Lindeville" stecken. Vielleicht: zu viel? Ein bisschen argwöhnisch könnte man schon werden, doch dann kommt schon "The Girl in the Picture", ein wirklich superstarker Country-Rocker. Kräftig, straight, schnörkellos. Das erste Glanzlicht der CD - gefolgt vom nächsten, das sehr originelle, in seiner extrem traditionellen Machart an June Carter erinnernde "If These Dogs Could Talk".
Bei "Play Ball", ein sehr gefälliger Country-Folk, lässt John Osbourne seinen Kellerbass erklingen. Von da an wird es musikalisch mit jedem Song fast noch besser: "Missed Connections" besticht mit Marty Stuart- oder Lyle Lovett-typischem Retro-Sound, klimperndem Honky-Tonk-Piano und tollem Slide-Guitar-Solo, "Gospel Night at the Strip Club" serviert, basierend auf einer so simplen wie einprägsamen Gitarren-Linie, einen hypnotischen Folk-Gospel, der rustikale Shuffle "When Will I Be Loved" könnte der beste Linda Ronstadt-Song seit "It's So Easy" sein und "Bonfire at Tina's" überzeugt als opulent arrangierter, Gospel-gefärbter und mit grandioser Melodie versehener Folk-Song.
Mit dem versöhnlichen, romantisch-melodiösen Titeltrack verlassen wir dieses "Lindeville". Ein Ort, der sich mal traumhaft, mal albtraumhaft geriert. Genau wie das wirkliche Leben.
Fazit: Ashley McBryde legt sich für "Lindeville" tüchtig ins Zeug. Sie präsentiert ein Konzeptalbum, dem verstorbenen Songschreiber Dennis Linde nachspürend. Die hohe Songqualität macht das Etwas-zu-viel-Wollen aber wett.
Label: Warner Bros. Nashville (Warner) | VÖ: 7. Oktober 2022 |
Disk 1 | |
01 | Brenda Put Your Bra on (mit Caylee Hammack & Pillbox Patti) |
02 | Jesus Jenny (mit Aaron Raitiere) |
03 | Dandelion Diner |
04 | The Girl in the Picture (mit Pillbox Patti) |
05 | If These Dogs Could Talk (mit Brandy Clark) |
06 | Play Ball (mit Brothers Osborne) |
07 | Ronnie's Pawn Shop |
08 | The Missed Connection Section of the Lindeville Gazette (mit Brandy Clark & Aaron Raitiere) |
09 | Gospel Night at the Strip Club (mit Benjy Davis) |
10 | Forkem Family Funeral Home |
11 | When Will I Be Loved (mit Brandy Clark, Caylee Hammack & Pillbox Patti) |
12 | Bonfire at Tina's (mit Caylee Hammack, Brandy Clark & Pillbox Patti) |
13 | Lindeville |