Gerade mal 18 Jahre alt war Naomi, als sie Wynonna in Kentucky zur Welt brachte. Schon bald zeigte sich das große Talent der kleinen rothaarigen Tochter - und Naomi, die als alleinerziehende Mutter (ihre zweite Tochter ist Schauspielerin Ashley Judd) zwischenzeitlich ihr Glück in Los Angeles versuchte, witterte mit einem Duo-Projekt die große Chance: Mutter und Tochter. Das kennt man auch in Deutschland, man erinnere sich an das Volksmusik-Gespann Maria und Margot Hellwig. The Judds schlugen natürlich andere Töne an. Ganz andere.
"A Tribute to The Judds": gelungene Verneigung vor einer Legende
Irgendwann siedelten die beiden, logisch!, nach Nashville um. Und schon bald machte sich dieser sehr spezielle Familien-Act einen guten Namen in der Szene. Als das Label RCA ein Demo in die Hand bekam, dauerte es - so heißt es - ganze 30 Minuten, bis ein unterschriftsreifer Vertrag den beiden vorlag. Wie richtig die Plattenleute mit der Verpflichtung von The Judds lagen, zeigt sich auf Anhieb. Bereits ihre erste Single ("Had a Dream (for the Heart)" landete in den Top 20, ihre nächsten Streiche ("Mama He's Crazy" und "Why Not Me") waren bereits Nummer-eins-Hits. Es folgte eine Flut an Preisen, darunter auch ein Grammy in der Rubrik "Best Country Performance by a Duo".
Doch das alles war nur Auftakt einer schier unglaublichen Erfolgsserie, die den beiden in den 1980er Jahren gelang: reihenweise Top-Hits (14 Nummer eins), Goldene- und Platin-Alben, ausverkaufte Tourneen, Preise, Preise, Preise. Alles gut also? Leider nein. Gerade am Zenit ihres Erfolges angekommen, erkrankte Mutter Naomi an chronischer Hepatitis, was auch das Ende dieses großartigen Duos einläutete. Nach einer fulminant erfolgreichen Abschiedstournee waren The Judds Geschichte. Natürlich unterbrochen von raren Auftritten und der einen oder anderen kurzen Tournee. Wynonna schmiedete ohnehin erfolgreich ihre Solo-Karriere und Naomi litt zunehmend an Depressionen. Im April 2022 verstarb sie.
Doch ihr Vermächtnis lebt weiter. Das belegt auch diese wunderbare Zusammenstellung "A Tribute to The Judds". Wunderbar ist diese von Brent Maher produzierte Würdigung nicht nur wegen der hier neu interpretierten 14 Judds-Tracks, über die man sagen kann: alles Songs, untrennbar mit der modernen Country-Literatur verbunden. Wunderbar ist das Album auch, weil hier Künstlerinnen und Künstler aus den verschiedenen Country-Ecken und -Epochen zusammengefunden haben. Junge Talente, Legenden, Geheimtipps, Virtuosen, Stars und Superstars. Das verspricht Spannung und Abwechslung - und beides liefert das Album satt. Nehmen wir nur mal den Opener "Girls Night Out". In dem köstlichen, mit Blues-Feeling garnierten Uptempo-Country-Track machen doch glatt Reba McEntire, Carly Pearce, Jennifer Nettles und Gabby Barrett gemeinsame Vokal-Sache. Ein so unterschiedlich rekrutiertes, wie perfekt harmonierendes Quartett. Schon alleine dieser Song rechtfertigt den Kauf des Albums.
14 Country-Top-Acts aus verschiedenen Ecken und Epochen
Zu hoch gegriffen? Okay, dann hören wir uns doch mal den zweiten Song, das bereits erwähnte Judds-Frühwerk "Mama He's Crazy" an. In dieser zeitlos schönen Ballade treffen Dolly Parton und ihre junge Kollegin Lainey Wilson aufeinander, um sich gefühlvoll und hingebungsvoll zu umschmeicheln und sich zu Großtaten zu motivieren. Schon jetzt möchte man sagen: Gebt den zwei einen CMA-Award und Grammy für die beste Duo-Darbietung! Vermutlich muss man aber sowieso keine hellseherische Begabung mitbringen, um dem Album etliche Preise vorherzusagen.
Genau genommen, würde sich jeder Track einen Award verdienen. Das gefühlvolle "Why Not Me", interpretiert von der jungen Megan Moroney, das aus 110-prozentigem Country-Stoff gewebte und von Cody Johnson wundervoll gesungene "Grandpa (Tell Me 'Bout the Good Old Days)", das temperamentvolle, stramm rockende "Rockin' with the Rhythm of the Rain", bei dem Ashley McBryde und Shelly Fairchild ein bemerkenswertes Team bilden, oder "Young Love (Strong Love)", ein Balladen-Klassiker aus dem Judds-Katalog, dem sich ebenfalls ein erstaunliches Pärchen annimmt: Ella Langley und Jamey Johnson. Selten, vielleicht sogar noch nie, hat man den grummeligen Johnson so hoffnungslos romantisch gehört, wie in diesem Song.
Der Superlativ zieht sich auch durch die weiteren Tracks. LeAnn Rimes macht es bei "Have Mercy" super, die Turteltäubchen Gwen Stefani und Blake Shelton harmonieren sowieso immer perfekt ("Love is Alive") und Mavericks-Chef Raul Malo hat irgendwie ein Duett mit dem 1998 verstorbenen Rock 'n' Roll-Pionier Carl Perkins hinbekommen ("Let Me Tell You About Love"). Für den emotionalsten Moment aber sorgt Wynonna Judd selbst. Die übrig gebliebene Hälfte des Duos stimmt gemeinsam mit der nicht weniger grandiosen Trisha Yearwood das so traurige wie schöne "Cry Myself to Sleep" an. Gänsehaut ist da allemal garantiert. Mit der berührenden Gospel-Ballade "Love Can Build a Bridge" beenden Jelly Roll, K. Michelle und The Fisk Jubilee Singers dieses, ja, doch, perfekte Country-Album. Volle Punktzahl, keine Frage.
Fazit: "A Tribute to The Judds" ist vieles: tolle Würdigung des 80er-Jahre-Acts, Sammlung von hochinteressanten Kooperationen und vor allem - ein sensationelles Country-Album.