Nun, obwohl die manchmal rabiat, mal sensibel und zerbrechlich wirkende Künstlerin von ihren Kollegen und Kolleginnen höchste Wertschätzung genießt und zum absoluten Kritiker-Liebling avancierte, kann Ashley McBryde immer noch keinen Top-10-Radiohit aufweisen. Auch ihre Verkaufszahlen und Streams sind noch längst nicht so, wie man das bei ihrem Standing erwarten könnte.
Nächster Schritt auf der Karriereleiter: "The Devil I Know"
Ein Umdenken kommt für die selbstbewusste Künstlerin aber nicht in Frage. Ganz und gar nicht. Sie geht ihren Weg. Auch wenn der steinig und mühevoller und länger sein sollte. Doch früher oder später wird sie dieser Weg dorthin führen, wo sie hingehört: in die obersten Sphären der Country-Szene. Ein bedeutender Schritt in diese Richtung könnte "The Devil I Know" sein, ihr viertes Studioalbum. In den elf, ausnahmslos von ihr mitkomponierten Songs unterstreicht die Sängerin und Songwriterin ein weiteres Mal ihre Ausnahmestellung im Country-Establishment. Die nächsten Nominierungen werden nicht auf sich warten lassen, jede Wette.
Auch weil sie genau das alles möchte, den Erfolg, die Karriere, die Musik. Es ist ihr Leben. "Made for This" heißt deshalb nicht umsonst der Opener ihres neuen Albums. Ein Song, der keine Zweifel offenlässt, der nach vorne geht, schiebt, drückt, der mit einem flotten, aber auch ungewöhnlichen Motown-Rhythmus (immer schön die Viertelnoten auf die Snare prügeln) aufhorchen lässt, der sich aber erstaunlich gut mit den rockenden Country-Blues-Gitarrenakkorden des Songs verträgt. Als perfektes Bindeglied dieser musikalischen Melange erweist sich nach wenigen Takten die Stimme von Ashley McBryde: sie kann Soul, sie kann Blues, sie kann leisen Folk und - natürlich - hat sie auch Country perfekt drauf. Auf "The Devil I Know" erinnert sie deshalb mehr denn je an Wynonna Judd, die seit den 80er Jahren ein ähnlich breites Spektrum aufweist.
Auch ihre rebellische Art, ihren vielen Tattoos und ihr unermüdliches gegen den Strom schwimmen, hat sie mit Wynonna gemeinsam. Vermutlich auch den Dickkopf. "Die Leute sagen einem andauernd, was man tun und lassen soll", singt Ashley McBryde inhaltsgemäß im Titeltrack des Albums, "die Mutter möchte, dass man in die Kirche geht, der Arzt will einem das Rauchen ausreden." Nicht mit ihr: "Well, I got something to say of my own. Hell, there's hell everywhere I go. So I'm sticking with the devil I know." Den von akustisch geprägten Strophen und hart rockendem Refrain angelegten Song hat sie gemeinsam mit Jeremy Stover und Bobby Pinson geschrieben. Zwei bestens bekannte Autoren - und nicht die einzige prominente Zusammenarbeit des Albums.
Ashley McBryde geht ihren eigenen Weg
Da wäre beispielsweise der Song "Cool Little Bars" - ein fröhlicher, im akustischen Country-Folk gehaltener Drinikin' Song, mit Fingerpicking-Gitarre und Mundharmonika - für den sie sich mit Trick Savage und Lainey Wilson (!) zusammengetan hat. Oder "Whiskey and Country Music". Nach einem so originellen wie großartigen Blues-Rock-Intro changiert der Track in klassische Country-Gefilde - immer wieder konterkariert von diesem rockenden Gitarren-Riff aus dem Intro. Zu verantworten haben die Komposition, neben McBryde, Lee Thomas Miller und ein gewisser John Osborne (natürlich von den Brothers Osborne). Ein unkonventioneller Track, der die Roots und den Rock perfekt auf einen gemeinsamen Nenner bringt.
Das gilt auch für das nachfolgende "Blackout Betty". Schon der Titel verspricht eine Ladung Rock - und genau das serviert Ashley McBryde mit diesem Song. Ein würziger Bluesrocker, hart, mit rasierklingenscharfen, bluesig angelegten Gitarren-Riffs in bester ZZ Top-Manier. Als Gegenpol dazu geht es in den Strophen düster, leise und mit klassischen Country-Klängen zu.
Ashley McBryde ist mit allen Wassern der handgemachten Musik gewaschen. Dazu ist sie eine Poetin. Gutes Beispiel: der Song "Light On in the Kitchen". Es ist eine schöne Metapher, um jemandem zu sagen, "du bist immer willkommen". Den mit ruhigen Country-Folk-Tönen inszenierten Song hat sie mit Jessi Alexander und Connie Harrington geschrieben. Ein Track, der an die besten Momente von Mary Chapin Carpenter erinnert. Auch sie war eine Rebellin, eine leise Kämpferin, mit subtilem Wortwitz und immer gut für eine radikale Aussage. Der Titel "Learned to Lie" hätte deshalb auch gut aus ihrer Feder stammen können: eine wunderschöne Country-Ballade mit herrlichen Harmonie-Verbindungen, prächtigem Gitarrensolo und - das Tüpfelschen auf dem "i" - einer gesanglichen Performance, die einen nur begeistern kann.
Ach ja, da wären auch noch zwei Tracks, die vielleicht tatsächlich mal die Top-10 Radiocharts entern könnten: das hübsche, doch reichlich im Mainstream angelegte "Woman Ain't Whiskey" (u.a. mitkomponiert von Hillary Lindsey) und der perfekte, schon fast an Little Big Town erinnernde Country-Pop-Song "Coldest Beer in Town". Ein Klischee-Track, aber ein richtig starker!
Fazit: Ashley McBryde erfüllt mit "The Devil I Know" die hohen Erwartungen: elf Tracks, die für hochkarätigen und unangepassten Country-Rock stehen. Die nächsten Award-Nominierungen dürften damit gesichert sein.