LeAnn Rimes: gleichzeitig Country-Wunder- und Problemkind
Sicher, LeAnn Rimes wurde mit Roots-Country sozialisiert. Sie hatte die Grundlagen schon als Kind drauf. Schließlich ist sie Sängerin, seit sie zwei war. Mit neun war sie bereits ein alter Hase, mit zehn nahm sie ihr erstes (Independent)Album auf und mit elf konnte LeAnn Rimes vermutlich mehr Live-Auftritte vorweisen, als mancher Country-Acts in der gesamten Karriere. Klarer Fall von Wunderkind. Der Weg zu Patsy Cline ist da freilich nicht mehr weit.
Aber wie so oft: Zu früher Ruhm ist eher kein Glück, sondern Bürde. Nicht wenige gehen daran zu Grunde. Und auch LeAnn Rimes hatte in den letzten Jahren, vermutlich Jahrzehnten immer wieder schwer mit Depressionen und Tiefpunkten zu kämpfen. Musikalisch lief es mal glänzend ("Can't Fight The Moonlight" aus dem "Coyote Ugly"-Film), mal deutlich weniger gut. Vom traditionellen Country-Sound hat sich die aus Pearl, Mississippi, stammende Sängerin allerdings ziemlich bald verabschiedet.
Obwohl die Gelegenheits-Schauspielerin und "The Masked Singer"-Gewinnerin (2020) in den USA medial unvermindert präsent ist, schnitten ihre letzten beiden Alben schon fast katastrophal ab. "Remnants" aus dem Jahr 2016 kam auf Platz 88, "Chant: The Human & The Holy" schaffte es nicht einmal in die Charts. Für eine Sängerin ihres Kalibers ist das ein Offenbarungseid. Kann sie so nicht stehen lassen. Wird sie wohl auch nicht. Denn mit "God's Work" will es die glamouröse Künstlerin offenbar noch einmal wissen. Ihre Chancen? Nicht übel. Aber auch nicht so richtig toll.
LeAnn Rimes geht mit "God's Work" nicht den leichten Weg
Warum? Weil sie mit den zwölf Tracks doch ganz schön sperriges Song-Material anbietet. Nicht jeder Track, das beileibe nicht. Es sind einige Titel dabei, die gehen runter wie Olivenöl. Glatt, rund, angenehm. Für einen guten Teil der Songs lässt sich das aber nicht sagen. Da fährt sie viel Pathos auf, da wird sehr viel gewollt und - wie man weiß, eher Kassengift - setzt sie einen musikalischen Schwerpunkt auf das Balladen-Fach. Klavier-Balladen. Gleich im Opener serviert sie eine - und was für eine! "Spaceship" ist in allen Belangen ein abgehobener Track. Wie gesagt, viel Klavier, dazu Geigen und ihre Stimme, der sie im Verlauf des über vierminütigen Tracks freie Entfaltung erlaubt. Puh, da kommt schon was raus. Da wackeln die Wände. Die Frau hat - immer noch - ein Organ, da muss sich ein Großteil ihrer weiblichen Nashville-Kolleginnen schon sehr warm anziehen, um nur halbwegs mithalten zu können. Kurzum: guter Start!
Mit ihrem Raumschiff landet LeAnn Rimes im nächsten Song in ziemlich irdischen Gefilden. "The Only" ist ein diskret spirituell aufgeladener, mit karibischer und dezenter Reggae-Note versehener Song, der richtig Laune macht. Er kommt um zwei Monate zu spät, denn er hätte zum Soundtrack des Sommers werden können. Zum guten Gelingen haben die ausgewiesene Happy-Music-Experten Ziggy Marley, Ledisi und Ben Harper mitgemischt. Wie viel Herzblut und vermutlich selbst-therapeutische Ansätze LeAnn Rimes in "God's Work" gesteckt hat, zeigt sich auch in dem nachfolgenden "Awakening", ein nettes World-Music-Crossover aus viel Rhythmus, Geigen und hymnischen Refrains.
Sehr pathetisch und ruhig gibt sie sich in dem Rührstück "How Much a Heart Can Hold", bei dem sie sich nur von einem Klavier und einer später dazu stoßenden Geige begleiten lässt. Kein Problem für sie. Sie füllt jede Lücke stimmlich locker aus. Erneut in leicht befremdliche World-Music-Gefilde geht es beim gut gemeinten und perkussiv interessant gestalteten "Throw My Arms Around the World" sowie auch im nächsten Track, "The Wild". Ein schräger Track. Wieder Rhythmus-betont, wieder World-Music-Style, plus hypnotische Chöre. Irgendwie erinnert das ganze allerdings an einen Andrew Lloyd Webber-Musical-Beitrag zum Thema Afrika.
Und, wie sieht es mit Country aus, fragt sich vermutlich die Gemeinde? Tja, da gibt es leider nicht sehr viel zu ernten. Immerhin steht der an den frühen Kenny Loggins erinnernde Titeltrack mit starker Melodie, solidem Groove und einer mitreißenden Slide-Gitarre im Zeichen von Gospel, Country- und Southern-Rock. Mit dabei sind hier Robert Randolph, Mickey Guyton und Tata Vega. Nach diesem opulenten Werk legt sich mit dem impulsiven Americana-Track "Something Better's Coming" stilistisch nach. Zwei Highlights der CD. Auf den restlichen Songs schmettert sie weitere Klavier-Balladen, mal pop-, mal gospel-gefärbt. Sicher, man spürt die Intention. Da spricht sich jemand selbst Mut zu, wenn sie am Ende "There will Be a Better Day" und "I Do" (mit Aloe Black) singt. Das ist ehrlich und sympathisch - und handwerklich großartig gemacht. Sie kann es immer noch.
Fazit: Ein spirituelles, selbst-therapeutisches Album mit einigen Highlights und zu vielen Klavier-Rührstücken. Dennoch: LeAnn Rimes meldet sich mit "God's Work" stimmgewaltig zurück.
Label: EverLe / Thirty Tigers (Membran) | VÖ: 16. September 2022 |
01 | Spaceship |
02 | The Only (mit Ziggy Marley, Ledisi & Ben Harper) |
03 | Awakening |
04 | How Much a Heart Can Hold |
05 | Throw My Arms Around the World |
06 | The Wild |
07 | Innocent |
08 | God's Work |
09 | Something Better's Coming |
10 | Imagined with Love |
11 | There Will Be a Better Day |