Ging sie mit ihrem im Jahr 2000 erschienenen Debüt "Broken Bracelet" noch fürchterlich baden, startete sie mit dem ein Jahr später erschienenen "The Spirit Room" ordentlich durch. Es reichte nicht nur für einen Platz in den Top 30 der amerikanischen Pop-Charts, auch in Europa fand ihr feenhafter Folk-Pop mit Country-Einschlag viele Freunde. Vor allem in UK, der Schweiz und in Deutschland konnte sie sich eine stattliche Fangemeinde ersingen. Die wuchs tüchtig mit ihrem 2003 erschienenen Longplayer "Hotel Paper": Platz zwei in den Ami-Charts. Wow! A Star is born! Sie sang für Carlos Santana, arbeitete mit der Crème de la Crème und sogar ein Grammy sprang für sie heraus. Besser geht's kaum.
Rückmeldung unter schrägen Vorzeichen: "The Trouble with Fever"
Was die Sängerin mit der angenehm kieksigen Stimme allerdings dann gemacht hat, ist nicht so richtig überliefert. Man würde vor allem einmal sagen: Pause. Jedenfalls dauerte es sage und schreibe 14 Jahre lang, bis sie sich mit "Hopeless Romantic" zu einer Rückmeldung aufraffen konnte. 14 Jahre sind eine Ewigkeit im Pop-Business - und das bekam sie zu spüren. Denn mehr als Platz 143 in den US-Popcharts kam für das Album nicht heraus. Immerhin hat sich die Arbeit an dem Album in Liebesdingen für Michelle Branch gelohnt: Seit den gemeinsamen Sessions sind Branch und Patrick Carney von den Black Keys ein Paar.
Ein Paar, das es offenbar in sich hat. Anfang des Jahres gerieten die beiden in die Schlagzeilen. Branch wurde in Nashville sogar verhaftet, weil sie ihren Musiker-Schatz angeblich geohrfeigt hat. Man sprach von Trennung - und kurz darauf von Neuanfang und von "alles ist gut". Tja, so spielt das Leben. Den Skandal hat sie aber für ihr neues Album "The Trouble with Fever" nicht verarbeiten können, da die Aufnahmen zu dem Zeitpunkt schon abgeschlossen waren. Heiße Eisen packt die engagierte Songschreiberin auf dem - natürlich mal wieder - unter Corona-Bedingungen eingespielten Album dennoch an. Sie sagt über die CD, die sie gemeinsam mit Carney produziert hat, dass sie "größtmögliche Kontrolle" über das Werk gehabt hätte. Und auch, dass es ein sehr persönliches Album ist, da sie viele Instrumente selbst eingespielt habe und auch auf die sonst übliche Zusammenarbeit mit Co-Autoren weitestgehend verzichtet habe. Das kann gut gehen, muss es aber nicht.
"The Trouble with Fever" - ein sehr persönliches Michelle Branch-Album
Im Falle von "The Trouble with Fever" muss man dem Album leider letzteres attestieren. Ja, keine Frage, ein Co-Autor, ein Songschreiber, mit einem glücklichen Händchen für runde, in sich geschlossene Harmonien hätte den zehn Tracks sicher nicht geschadet. Mehr noch: manche Titel sind einfach sperrig oder banal oder einfach völlig in ihrer Ausrichtung undefiniert. Was für die Leser dieser Seite mindestens genauso unvorteilhaft ist: sie verzichtet auf ihren früheren Markenkern - die Kombination aus Folk, Country und Pop - auf "The Trouble with Fever" zum überwiegenden Teil. Es ist Popmusik. Nicht richtig übel. Aber auch nicht richtig toll. Schon der Opener "Closest Thing to Heaven" verdient sich mit seinen sphärischen Geigen-Melodien und der unkonkret opulenten Ausstattung nur mal das Prädikat "nett".
Das ließe sich auch auf das nachfolgende "You Got Me Where You Want Me" münzen, würde sie hier nicht textlich ordentlich austeilen. Diesem Pluspunkt steht eine leider höchst fragwürdige Lead-Gitarre gegenüber. Die spielt in dem anschließenden, ganz auf Feminismus gepolten "I'm a Man" eine noch weitaus tragendere Rolle. Leider. Diese Solo-Riffs setzen schon bei den Black Keys gelegentlich musikalische Tiefpunkte, hier aber sind die fingerlahmen und soundtechnisch stümperhaft wirkenden E-Gitarren-Linien vor allem nervig.
Alle Songs, die auf diese besondere Gitarrenarbeit verzichten, fallen dadurch schon mal deutlich besser aus. Beispielsweise der eingängige, dennoch ziemlich böse Popsong "Not My Lover", die tatsächlich mal Folk-orientierte Ballade "When That Somebody Is You" oder das hymnische, süß gehauchte "Beating on the Outside". Man könnte sagen: Je einfach und konsequenter sie ihre Songs anlegt, desto mehr weiß sie zu überzeugen. Leider aber will sie immer wieder etwas zu viel - wie etwa in dem schrägen, mit Soundtrack-typischen Geigenmelodien versehenen "Zut Alors!" (Französisch für "Verdammt dann!"). Mit "I'm Sorry" beendet sie das Album mit einem Song mit guter Gesangsmelodie - und, leider, leider, sehr schwachem Gitarrensolo. Irgendwie typisch für die CD.
Fazit: Michelle Branch war ganz oben - und legte dann zu lange nicht mehr nach. "The Trouble with Fever" ist deshalb fast ein Neuanfang, für den man sich ein paar gute Co-Autoren und Musiker gewünscht hätte. Potential da. Umsetzung mittelprächtig.
Label: Nonesuch (Warner) | VÖ: 16. September 2022 |
01 | Here for It (mit Ingrid Andress) |
02 | County Line |
03 | Praise the Lord (mit Thomas Rhett) |
04 | Natural |
05 | Told You I Could Drink (mit Lady A) |
06 | For What It's Worth |
07 | Happy Song |
08 | Growing Pains |
09 | Throw It Back (mit Keith Urban) |
10 | Thick |
11 | Cross Country (mit Mickey Guyton) |
12 | Good for You |
13 | Don't Look at Me |
14 | Alone at the Ranch |