Jeder Mensch reagiert anders auf Herausforderungen. Der eine sieht schwarz und gibt sich düsterer Stimmung hin, der andere setzt sich die rosa Brille auf und bleibt stur optimistisch. Diese zwei Pole lassen sich gerade auch musikalisch ausmachen: Während Jim Lauderdale mit "Hope" eine Lektion in positivem Denken erteilt, sieht sein ähnlich alter, ähnlich erfolgreicher Kollege Rodney Crowell die Dinge des Lebens deutlich skeptischer: schwarz-weißes Cover, finsterer Blick, dunkle Sonnenbrille. Und dann noch der Titel "Triage", ein grimmiger Begriff aus der Militärmedizin, bei dem es um nichts weniger als um Leben und Tod geht.
Mit "Triage" verhandelt Rodney Crowell die Dinge des Lebens
Ein so benanntes Album lässt, so viel steht schon mal fest, keine netten, aufgekratzten, Tralalla-Songs erwarten. Wobei man das von einem Künstler vom Kaliber eines Rodney Crowells ohnehin nie verlangen durfte. Der Mann ist hochtalentiert. Ein Musiker durch und durch. Wie die meisten auf diesem Portal wissen dürften, arbeitete er schon in den 1970er Jahren - höchst erfolgreich - mit Emmylou Harris zusammen. Später produzierte er folgenschwer ein Album mit Rosanne Cash: Kaum war das Album ("Right or Wrong") im Kasten, waren die beiden auch schon verheiratet. Als Schwiegersohn von Johnny Cash hatte er zwar familienintern keinen leichten Karriere-Stand. Dafür aber konnte er als Songschreiber eine ganze Reihe von Hits einfahren (u.a. für die Oak Ridge Boys, Bob Seger, Keith Urban und Crystal Gayle).
1988 landete er endlich als Interpret in eigener Sache seinen Volltreffer. Das Album "Diamonds and Dirt" koppelte fünf Nummer-eins-Singles aus, erhielt einen Grammy-Award und zählt bis heute zu den wichtigsten Alben der neueren Country-Geschichte. Diesen großen Erfolg konnte Crowell zwar nie mehr wiederholen - trotzdem schnupperte er immer wieder mit Longplayer in die Top 10 der Country-Charts. Vor allem, wenn er wie bei "Old Yellow Moon" (2013) und "The Travelling Kind" (2015), seine Zusammenarbeit mit Emmylou Harris fortsetzte.
Für die zehn Songs von "Triage" hat er indes ein anderes Team um sich geschart. Dazu gehören der Produzent Dan Kobler sowie Musiker aus der ersten Session-Reihe wie: Larry Klein (Bass), John Jarvis (Klavier), Steuart Smith (Gitarre) und als Background-Sänger John Paul White. Ein Team Hochqualifizierter – nicht für rockigen Radau, aber für sensible, komplexe Songs und Stimmungen. Und genau das bieten die zehn Tracks von "Triage".
Nicht dass Rodney Crowell, der zunehmend wie ein in die Tage gekommener Punker aussieht, sein Temperament verloren hätte. Soweit ist es noch nicht. Das macht er auch gleich mal in dem vierminütigen Opener deutlich, wenn nach zwei akustischen, sehr getragenen Strophen - wie aus dem Nichts - plötzlich ein forscher Beat und E-Gitarren aufflammen. Es rockt. Es groovt. Aber: Diese Gangart bleibt die Ausnahme. Schon im nächsten Track, dem Titelsong, gehen es Crowell und seine Mitstreiter wesentlich ruhiger an. Dem Inhalt geschuldet, verbreitet der Song in den Strophen eine unheilverkündende Schwermut. Doch keine Sorge: Rodney Crowell ist nicht zum Fürsten der Finsternis geworden, wie er im Refrain beweist - wenn optimistische Dur-Akkorde traurige Moll-Klänge verdrängen. Eine Form von harmonischer Erlösung. Danke, Rodney!
"Triage" - von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt
Dieses stimmungsmäßige Auf und Ab, dieses Pendeln zwischen Frust und Freude zeichnet auch die weiteren Tracks des Albums aus. Deprimierende Titel wie "Transient Global Amnesia Blues" und "Girl On The Street" treffen auf Songs wie "Hymn 43" und "This Body Isn't All There Is To Who I Am" die, wenn schon keinen puren Frohsinn, dann zumindest inneren Frieden ausdrücken - und somit für ein Wechselbad der Gefühle sorgen.
Dazwischen finden sich die vielleicht stärksten Songs von "Triage": das flotte, mit hübsch geblasener Mundharmonika an Neil Youngs-"Harvest"-Zeit erinnernde "One Little Bird" und der mit einer brummenden Tuba versehene und damit auf den guten, alten Dr. John verweisende Blues von "Something Has to Change". Der zuversichtlichste Song ist vielleicht auch der stärkste: "I'm All About Love" wartet mit knarziger Blues-Gitarre, fröhlich stolperndem Shuffle-Groove und Rodney Crowells rührendem Bekenntnis zur Liebe auf. Es besteht also noch Hoffnung! Womit wir wieder bei Jim Lauderdale wären.
Fazit: Auf dem Cover von "Triage" gibt Rodney Crowell einen in die Jahre gekommenen Punker - musikalisch schlägt er düstere, aber auch hoffnungsvolle Americana-Töne an. Mal sperrig, mal zugänglich. Ein Album, mit dem man sich genauer auseinandersetzen sollte.
Label: RC1 / Thirty Tigers (Membran) | VÖ: 23. Juli 2021 |
01 | Don't Leave Me Now |
02 | Triage |
03 | Transient Global Amnesia Blues |
04 | One Little Bird |
05 | Something Has to Change |
06 | Here Goes Nothing |
07 | I'm All About Love |
08 | Girl on the Street |
09 | Hymn #43 |
10 | This Body Isn't All There is to Who I Am |