2015 hat sich der Trend, dass Country Music hierzulande populärer wird, fortgesetzt. Auch wenn dieser Trend nicht alle erreicht. So schrieb zum Beispiel Herbert Arnold als Herausgeber des Regional-Magazins "Wheel" in seinem Vorwort der November-Ausgabe "Das Interesse im breiten Publikum, der Presse und den TV- und Radiosendern geht gegen Null". Nach diesem Austeilen schreibt er weiter "Es kommen zwar hin und wieder Stars aus den USA nach Deutschland, aber auch dies geht zurück." Anschließend fragt er seine Leser, wer die Ursache kennt. Ob er darauf Antworten bekommen hat? Aber auf jeden Fall ist seine persönliche Wahrnehmung schlechter als die Realität.
Entwicklung der Country Music in den Medien
Ja, natürlich wünschen wir uns alle mehr Country Music im Radio und Fernsehen, aber glaubt denn wirklich jemand daran, dass Country Music in Deutschland, Österreich oder der Schweiz die Rock-, Pop- oder Deutsch-Pop Musik ablösen könnte? Na ja, Träumen darf man… Natürlich gehen auch die Country Music Spezial-Sendungen im Radio zurück, dafür hat aber das Genre längst Einzug in das Tagesprogramm der Radiostationen gefunden, zum Beispiel im SWR 3. Und das ist nicht irgendein kleiner Spartensender, sondern laut der letzten Media-Analyse 2015 Radio II wird SWR3 mit täglich mehr als 4 Millionen Zuhörer ausgewiesen. Die Popwelle ist damit das meistgehörte öffentlich-rechtliche Radio-Programm in Deutschland und spielt auch Country-Songs. In diesem Jahr sogar mehr als im Vorjahr.
Auf dem Pay-TV-Sender GoldStar ging auch in diesem Jahr jede Woche ein Stunde Country Music im "GoldStar Country Club" on air. Das ist mehr Country Music im Fernsehen, als zu Spitzenseiten von "Music City USA" und "Country Roads" zusammen. Klar kann man jetzt argumentieren, dass es ja Pay-TV sei, aber Zeiten ändern sich nun mal und Pay-TV wird immer populärer. So läuft auf FOX jedes Jahr im Frühjahr die neue Staffel von "Nashville", ungeschnitten, ungekürzt und ohne lästige Werbeunterbrechungen. Die Zeichen stehen gut, dass das auch 2016 so sein wird. Außerdem hat der Streaming-Anbieter Netflix die Serie ins Programm genommen. Damit werden Menschen erreicht, die sich sonst vermutlich nicht mit Country Music beschäftigt hätten. "Nashville" ist auch sehr beliebt bei Musikern hierzulande, d.h. das Genre hält nach und nach Einzug in die Musik in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Lieber langsam und nachhaltig als kurz und stürmisch.
Der Country Music Live-Konzerte Boom 2015
Können Sie sich noch erinnern, wann das letzte Mal der amtierende (Academy of Country Music) ACM Entertainer des Jahres und gleichzeitig amtierender (Country Music Association) CMA Entertainer des Jahres in Deutschland live zu Gast war? Luke Bryan war in diesem Jahr hier und begeisterte bei zwei vollen Konzert, in München und Berlin, mehrere tausend Zuschauer. Die Liste der live-aufgetretenen Künstler aus den USA ist lang: HER and Kings County, Luke Bryan, Chris Young, Brantley Gilbert sogar zweimal, Lindsay Ell, Patty Loveless, Gatlin Brothers, Bellamy Brothers, The Mavericks, Doyle Lawson & Quicksilver, Craig Morgan und Steve Earle, um nur einige zu nennen.
Als besonders positive Überraschung für die Entwicklung kann man das Hamburger Konzert von Kacey Musgraves heranziehen. Bei ihrem Deutschland-Debüt im Oktober 2013 kamen nur - etwas überspitzt gesagt - einige wenige Besucher in den Berliner Postbahnhof. Gut zwei Jahre und ein Album später waren es schon knapp 1.000 Besucher, die ins Hamburger Docks kamen.
Diese Konzerte haben auch viele junge Leute in den Bann gezogen. Für unseren Kollegen Jan Paersch war das persönliche Überraschungs-Highlight der Auftritt von Damien Rice beim "A Summer's Tale Festival, Lüneburg". "Singer/Songwriter, die allein mit Akustikgitarre so tieftraurige Songs performen, dass man ihnen einen heißen Tee reichen möchte, gibt es wie Sand am Meer. Der irische Sänger und Gitarrist Damien Rice gehört nicht dazu. Auf der riesigen Hauptbühne des Summer's-Tale-Festivals spielt er spätabends einen Solo-Gig. Mit verzerrten Vocals und Fuzz-Gitarre singt er neben empfindsamen Balladen erstaunlich rockige Blues-Songs und wächst mit einer Loop Station zu einem Ein-Mann-Orchester heran. In "Volcano" sorgt Rice für Gänsehaut, indem er die mehrstimmigen Gesänge des Publikums dirigiert. Unerwartet ekstatisch, und unerwartet großartig."
Live scheint im Moment sowieso "in" zu sein. Auch für unseren Kollegen Gunther Matejka war die positivste Überraschung in diesem Jahr ein Live-Event. Allerdings fand der auf der anderen Seite des großen Teiches statt: "Für mich war das Ereignis des Jahres das Pilgrimage-Festival in Franklin, Tennessee. Nicht nur, weil das Programm mit Willie Nelson, Sheryl Crow, Trampled By Turtles und Chris Stapleton - um nur einige wenige zu nennen - erstklassig besetzt war, sondern auch, weil die Amis mit diesem Event erneut zeigten, wie ein Festival ablaufen kann: hochkarätig, aber auch völlig entspannt, locker und lässig. Die Mischung aus Familien-Event, Musikfestival und Picknick schuf eine extrem lässige Atmosphäre, die offenbar auch auf die Künstler übersprang. Wer Willie Nelson mit seiner Band hier erlebte, weiß, wie Country klingen kann. Cool, lässig, seelenvoll. Besser geht's nicht."
Die Überraschung in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Aber man muss nicht in die Ferne schweifen, wenn das Gute auch so nah liegt. Auch in Österreich gab es ein Festival, das sich durchsetzen konnte: Das European Country Festival. Der erste Versuch schlug gleich ein. Der Samstag war quasi ausverkauft und so ist es kein Wunder, dass es 2016 weitergeht. Wieder mit dabei die Buffalo Bells, die dieses Jahr den Laden aufgemischt haben. Die Jungs (und das eine Mädel) aus Österreich zeigen eindrucksvoll, wie Country Music bei jungen Menschen ankommt. Aber nicht nur die jungen Bands können begeistern. Auch Truck Stop aus Deutschland, die sich nach dem Tode der Hauptsänger erst einmal neu aufstellen mussten, starten wieder durch. Drei neue Mitglieder, einen neuen Plattenproduzenten und ein neues Plattenlabel. Trotz anfänglicher Skepsis einiger Truck-Stop-Fans ist der Relaunch mehr als geglückt. Platz 15 in den offiziellen Deutschen Album Charts für "Männer sind so" - der höchste Neueinstieg eines Studio-Albums seit Bestehen von Truck Stop. Glückwunsch!
Generell scheint aber die Musikszene in Österreich als auch in der Schweiz vitaler und jünger zu sein. Das meint auch Bettina Granegger: "Manchmal hat man so den Eindruck, die Bands in Deutschland haben irgendwie die Lust verloren sich mit den komplizierten Wirrungen der sich verändernden Country-Welt auseinanderzusetzen. Der ein oder andere Musiker hat tatsächlich den Wandel der Zeit verpennt, ist irgendwo zwischen "Achy Breaky Heart" und "Folsom Prison" hängen geblieben. So wirklich neue echte Hoffnungsträger kommen einfach nicht daher. Aber macht ja nichts - während unsere deutsche Country-Barden sich mal eine Auszeit nehmen, teilweise andere kreative Wege gehen, entdecken mehr und mehr US-Stars unseren Markt. Und auch unsere direkten Nachbarländer sind aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und zeigten 2015, dass sie auf dem besten Weg sind, an Bedeutsamkeit für diesen Musikbereich zuzulegen.
Am positivsten haben mich überrascht: Aus der Schweiz kam im Herbst Tobey Lucas auf Deutschland-Tour, brachte seinen Musiker-Kollegen Chris Filter und Songs aus seinem phantastischen Album "83" mit. Wer die Ehre hatte, ihn dabei live zu erleben, war danach zum einen beeindruckt, fragte sich gleichzeitig wohl auch, ob sich solche Talente bei uns nur verstecken oder in komplett anderen Musikrichtungen leben. Darf man nicht übermäßig gut sein und sich dabei trauen, auch ein bisschen Country in seine eigenen Lieder einzubauen? In der Schweiz scheinbar schon. Und auch in Österreich trauen sich sogar noch jüngere Menschen noch "echtere" Country Music zu machen und werden dafür mit Begeisterung überschüttet! Haben Jugendliche bei uns einfach Angst davor, dass Andere es vielleicht uncool finden, wenn sie zugeben, Country zu mögen? Ein Glück, dass Roman, Peter, Ulrich, Jakob und Sophie von den Buffalo Bells da drüberstehen, ihre eigenen Regeln definieren und allein die Erkenntnis sie beeinflusst hat, dass ihr Retro-Stil dem Publikum gefällt. Bei der Award-Verleihung der ACMF (Austrian Country Music Federation) im Oktober erhielten sie verdienterweise den Newcomer-Preis 2015. Bei der Gala zeigten darüber hinaus einige weitere österreichische Country-Künstler, dass dieses kleine Land diesbezüglich noch einiges Interessantes zu bieten hat."
Es ist eigentlich kein Wunder, dass die Szene in Deutschland nicht nach oben kommt. Bereits vor Jahren war klar, dass sich die Szene zugunsten der amerikanischen Country-Sänger verändern wird und dass sich die Künstler als auch die Country-Medien umstellen müssen, um den Finger am Puls der Zeit zu halten. Für den Country Music Liebhaber ist es zunächst sekundär, aus welchen Land der Künstler kommt, solange er gute Country Music macht. Natürlich haben die Amerikaner da einen Pluspunkt, weil sie regelmäßig Alben veröffentlichen, Videos produzieren und es schaffen, in aller Munde zu sein…und sie haben den deutschsprachigen Raum für sich entdeckt.
Ein kurzer Ausblick auf 2016
Wer alleine in den ersten Monaten für Konzerte kommt, liest sich wie die Billboard Charts: Jason Isbell, Lucinda Williams, Ron Pope, die Dixie Chicks, Corb Lund, James Laan, Sturgill Simpson, Noah Gundersen, Glen Hansard, Dailey & Vincent, Eric Church, Chris Stapleton, Will Hoge, John Arthur Martinez, Sam Hunt und Frankie Ballard. Es stehen noch vier weitere Amerikaner auf der Ankündigungsliste, deren Termine aber noch nicht veröffentlicht wurden. Ein regelmäßiger Blick in unseren Terminkalender lohnt sich immer.
Durch die gesteigerte Live-Präsenz kommen auch mehr und mehr Medien auf den Geschmack von Country Music und hinzu kommt, dass es auch in den Massenmedien, wie Kino und Fernsehen, mehr Berührungspunkte gibt. Ein Beispiel von unser Film-Redakteurin Antje Wessels: " Die Lichtspielhäuser hielten 2015 einiges an Filmstoff für Liebhaber des Country Music-bezogenen Kinos bereit, doch längst nicht alles verdient das Prädikat "Positive Überraschung". Ein Projekt jedoch erfüllte genau die richtigen Attribute, um mir am Ende des Films ein größeres Lächeln hervorzulocken, als die Filme, bei denen ich ohnehin davon ausgegangen war, dass sie in gewisser Weise eine gewisse Qualität besitzen. Die Rede ist von George Tilman Jrs. Romanze "Kein Ort ohne Dich", die auf einem Roman von Nicholas Sparks basiert. Sparks ist, wie wir alle wissen, für den romantischen Film in etwa das, was Michael Bay für das Actiongenre ist. Von Subtilität keine Spur. Doch Tilman Jr. gelingt es erstmals in der Geschichte des Sparks-Films, die Geschichte um ein Liebespaar, das ausnahmsweise 'mal nicht mit äußeren Umständen, sondern mit sich selbst zu kämpfen hat, die Probleme zweier Liebenden einzufangen und sie nicht nach dem klassischen "die Liebe überwindet alle Widerstände"-Schema abzuhandeln. Es geht um die Frage nach dem Wert von Selbstverwirklichungen, es geht um den Kampf zwischen den eigenen Interessen und der Findung nach Kompromissen. Und es geht um den Wert wahrer Liebe. Das hat alles immer noch lange nicht den Wert eines "echten" Charakterdramas, entfernt sich jedoch so angenehm weit von Spark'schem Wohlfühl-Kitsch, dass "Kein Ort ohne Dich" nicht bloß die beste Sparks-Verfilmung aller Zeiten ist, sondern auch eine echte positive Überraschung gemessen an der Erwartungshaltung."
Alles in allem steht es hierzulande zurzeit doch sehr gut um die Country Music. Jammern und Beschweren sind out - jetzt heißt es sich über die positive Entwicklung zu freuen und zu hoffen, dass das Thema noch ausgebaut werden kann.
In Namen von allen Kollegen und Kolleginnen aus der Redaktion und der Technik von CountryMusicNews.de wollen wir uns an dieser Stelle bei allen Lesern für ein tolles Jahr 2015 bedanken, freuen uns auf ein gemeinsames 2016 und versprechen unseren Kurs der scheuklappenfreien Berichterstattung fortzusetzen und in unseren Bemühungen um die Country Music nicht nachzulassen.