Die stolze Hit-Bilanz, die beeindruckende Award-Sammlung in seiner Vitrine, die vielen Titelblätter amerikanischer Magazine, die ausverkauften Tourneen - alles das zählt für gewöhnlich auf dem deutschen Markt nur wenig. Deshalb buchte man, geht mal ein Top-Star Nashvilles, auf Konzertreise durch hiesige Gefilde, normalerweise nur mittelgroße bis kleine Locations. Selbst diese waren in der Vergangenheit nicht immer voll. Wobei sich hier scheinbar einiges tut: Toby Keith vor ein paar Jahren, The Band Perry und zuletzt Darius Rucker konnten doch glatt volle Häuser vermelden. Und jetzt also Luke Bryan.
Die erste Überraschung liefert der Mann mit der Hollywood-Optik schon vor dem ersten Ton seiner zwei Termine umfassenden und von CountryMusicNews.de präsentierten Deutschland-Reise. Sein Auftaktkonzert am 4. März 2015 in München musste - oder besser: durfte - der Tourveranstalter aufgrund starker Nachfrage gleich mal in eine größere Halle verlegen: In das Kesselhaus, Kapazität rund 2.000 Zuschauer. Trotzdem ist die Show lange vor dem Konzert komplett ausverkauft. Warum wohl? Weil Luke Bryan ein geiler Typ ist? Weil ihm ein exzellenter Ruf als Live-Entertainer vorauseilt? Oder weil Country auch hierzulande immer mehr im Kommen ist?

Seien wir Optimisten und gehen wir von letzterer Option aus. Denn medial bekamen Luke Bryan und sein Tourveranstalter nicht mehr und nicht weniger Unterstützung, als alle anderen hier tourenden Country-Acts. Radio und TV? Fehlanzeige, natürlich. Egal, die Halle ist voll. Rappelvoll sogar. Und die Stimmung ist schon grandios, als Opening Act Lindsay Ell um kurz nach 20:00 Uhr die Bühne betritt. Die 25-jährige Blondine aus dem kanadischen Calgary ist noch ein eher unbeschriebenes Blatt in der Country-Szene. Zwei Alben und drei Singles hat sie veröffentlicht und ist damit auf Tuchfühlung mit den Top 20 der kanadischen Country-Charts gegangen. Als Live-Act hat sie sich aber bereits einen guten Namen machen können. Sie tourte mit Keith Urban, Gretchen Wilson, Ronnie Dunn; mit Big & Rich, Blues-Opi Buddy Guy und gemeinsam mit The Band Perry war sie auch schon mal in Deutschland unterwegs. Gesehen haben sie da auch Dane und Kathi. Die beiden Frankfurterinnen waren von ihr so angetan, dass sie schnurstracks den "German angELLs", den deutschen Lindsay Ell Fanclub, ins Leben riefen. Klar, dass die beiden auch extra nach München gefahren sind, um ihren Star wieder auf der Bühne zu erleben. "Das war es wert", sagt Dane nach der Show, "sie ist einfach toll." 20 Mitglieder habe der Fanclub jetzt. "Das werden nach dieser Tour bestimmt noch mehr", ist sich Kathe sicher. Dass sie dieses Mal mit kompletter Band auftrat - bei den Perrys stand sie noch solo auf der Bühne - hat der Musik gut getan, meinen die beiden Fans.
So um 21:00 Uhr steigt die Spannung. Das Licht wird runter, der Sound rauf gedreht. Immer noch Musik aus der Konserve. Aber laut. Zwei Songs dröhnen aus den Boxen, dann kommt die Band auf die Bühne. Sechs Mann, jung und hungrig und voller Spielfreude. Wie bei amerikanischen Acts üblich, kann es dem FOH-Mischer nicht laut genug sein. Er schiebt ab dem ersten Song die Fader weit nach oben, bis es die Dezibel-Dosis mit jedem stattlichen Rock-Act aufnehmen kann.

Als Luke Bryan auf der Bühne erscheint, wird es nochmals um einen guten Tick lauter - aus den Boxen und im Publikum. Keine Frage, der Mann hat auch hierzulande echte Hardcore-Fans. Er freut sich, sagt der sehr schlaksig und durchtrainiert wirkende, lässig in Jeans und T-Shirt gekleidete artig, hier sein zu dürfen. Hier, "in Munich". Und los geht die Country-Rock-Sause: Im Fokus des knapp 20 Titel umfassenden Programms stehen natürlich die Songs seines letzten, alleine in Amerika über zwei Millionen Mal verkauften Albums "Crash My Party". Hits wie "That's My Kind of Night", "Roller Coaster", "Beer In The Headlights" und die seiner verstorbenen Schwester gewidmete Ballade "Drink A Beer" haben es genauso auf die Setlist geschafft, wie die Album-Tracks "Shut It Down" und "Play It Again". Größtenteils aber präsentiert der souveräne Performer - cool, unangestrengt, sympathisch und dazu stimmstark - die Hits seiner bisherigen Laufbahn. Sein erster Charterfolg "All My Friends Say" darf dabei genauso wenig fehlen wie die vier Top-Hits vom "Tailgates & Tanlines"-Album von 2011, also: "Country Girl", "Drunk On You", "I Don't Want This Night To End" und "Kiss Tomorrow Goodbye". Der Rest: Songs vom "Doin' My Thing"-Album und die Cover-Version des Florida Georgia Line-Hits "This Is How We Roll". Für subtile Zwischentöne ist in der tempo- und adrenalin-geladenen Show nicht viel Raum vorgesehen. So hämmert der Drummer, ein bärtiger Schmied, das ganze Konzert über einen unerbittlichen Beat und unterzieht dabei Felle und Becken einem echten Härtetest. Purer Rock - ist man versucht zu sagen. Doch dann kommen immer wieder Pedal-Steel-Guitar und die Fiddle zum Zuge und die Country-Welt ist wieder in Ordnung. Dennoch: Traditionalisten dürften mit der Darbietung ihre Probleme haben. Doch für das erstaunlich junge Großstadtpublikum war es genau der richtige Stoff: Party-Sound, Rock-Kracher, gute Musiker und ein toll singender, exzellent aussehender und enorm sympathisch wirkender Luke Bryan. Country ist wieder um ein Konzert mehr zum Pop geworden.
Dieses hohe Niveau der Bühnenakteure haben so manche Leute hinter den Kulissen nicht gehalten: Dass es vorher etwas chaotisch zuging - geschenkt. Dass man, wie ursprünglich vorher zugesagt, nicht vom Fotograben vor der Bühne sondern vom weit entfernten Mischpult-Platz aus fotografieren musste - ärgerlich. Dass man aber dann nach dem Fotografieren der ersten drei Songs seine Kamera schnurstracks aus der Halle befördern musste, grenzt an Schikane. Okay, das halten viele Veranstalter so. Das macht es aber nicht besser und sinnvoller. Heute, wo jeder zweite Konzertbesucher mit seinem Smartphone hemmungslos fotografiert und filmt, ist diese Anordnung überholt und lächerlich. Ach ja, und dann noch diese für die Presse zuständigen Mitarbeiter des lokalen Veranstalters, in all ihrer Wichtigkeit und in vollen Zügen ihre Autorität genießend ... Leider nimmt man auch diese Eindrücke von dem musikalisch allerdings guten Konzert mit nach Hause.