Passender Untertitel wäre: "it's all about the glitter". Man wähnt sich auf dem Weihnachtsmarkt draußen auf dem Spielbudenplatz, als das Saallicht erlischt, und fünf wandelnde LED-Ketten ihre Plätze an den Instrumenten einnehmen. Sterne und Monde funkeln dazu, im Hintergrund der hellrote Lametta-Vorhang, der auch das Cover von Kacey Musgraves' "Pageant Material" ziert. Die Sängerin beginnt ohne Begrüßung mit dem Titelsong des Albums, an ihr glitzert bisher nur die Strumpfhose.
Auf Kacey Musgraves ruhen die Hoffnungen einer Nation von Country-Fans: wird die Frau aus dem Dörfchen Golden in Nordtexas ihre akustischen No-Nonsense-Country-Sound beibehalten, oder den Weg einer Taylor Swift gehen und sich an ein Mainstream-Pop-Publikum anbiedern?
Bislang stehen die Zeichen auf Tradition: Nach mehreren selbstveröffentlichten Alben wurden ihre beiden Alben für Mercury Nashville von Publikum und Kritik sehr positiv aufgenommen, es regnete Grammys® und CMA-Awards. Der Zweitling "Pageant Material" schoss im Sommer 2015 auch in den Billboard-200-Charts auf Platz drei, ohne sich vom ruhigen, akustischen Klang des Vorgängeralbums abzuwenden.
Auch im Docks wird der Sound bestimmt von traditionellen Instrumenten. Die wandelnde LED-Ketten stellen sich als Musgraves' Band heraus, in himbeerfarbenen Anzügen und mit Cowboyhüten machen sie optisch eine hervorragende Figur. Dies ist jedoch nicht die "Kacey Musgraves Band". Die fünf überlassen der Frau mit der butterweichen Stimme stets uneingeschränkt die Rolle im Mittelpunkt und glänzen mit präzise gesetzten, wenn auch allzu kurzen Soli.
Noch will Musgraves ihre Band nicht so recht von der Leine lassen, dabei gäbe der Southern-Stomp von Miranda Lamberts "Mama's Broken Heart" genug Raum für instrumentale Einlagen. Auch die Sängerin ist zu Beginn eher kurz angebunden und wirkt brav wie eine June Carter in den 40er Jahren. Doch das ändert sich bald: Musgraves erzählt von ihrer Heimatstadt, und von dem Gefühl, nach den Attentaten von Paris auf einer Bühne zu stehen. Tosender Applaus, jetzt hat sie das Publikum auf ihrer Seite. Später stellt sie ihre Band vor, was beinahe in eine Comedy-Show ausartet. Während der zweite Gitarrist sich an deutschen Flüchen versucht, darf Lead-Gitarrist Kyle Ryan sein beträchtliches Jongleur-Talent beweisen.
Ryan sieht aus wie ein junger Kris Kristofferson, und spielt lässig wie Elvis' Begleiter Scotty Moore. Mühelos wechselt er von akustischer zu elektrischer und zum Banjo. Er ist die treibende Kraft hinter dem grandiosen Sound der Band, neben der wunderbar wimmernden Pedal Steel von Adam Ollendorff.
Aus der halben Republik sind die Menschen für das einzige Deutschlandkonzert angereist; englische Fans sind mindestens so zahlreich vertreten wie Cowboyhüte. Im gut gefüllten Saal wird lauthals mitgesungen, am lautesten "Biscuits", Musgraves' Ohrwurm-taugliche Selbstbestimmungs-Hymne. Ist die Zeile "Smoke your own smoke" daraus etwa eine Stellungnahme für die Marihuana-Legalisierung? Passen würde es zu Kacey Musgraves, die sich bei allen Verweisen auf jahrzehntealte Country-Traditionen nie den Mund verbieten lässt. Passend dazu covert sie TLCs 1999er Pop-Hit "No Scrubs" über eine Frau, die sich gegen die Avancen eines Mannes wehrt.
Zwei weitere Cover beschließen den Abend: Nancy Sinatras "These Boots Are Made for Walkin’", zu dem nun auch die Stiefel der Texanerin blinken, endet endlich mit einer längeren Instrumentalpassage. Die Begeisterung des Publikums lockt die sechs noch einmal zu einer Zugabe heraus, a capella wünschen sie mit "Happy Trails" einen guten Heimweg.
Draußen auf dem Weihnachtsmarkt scheint es fast sicher: Kacey Musgraves wird sich auch künftig nicht aalglattem Charts-Pop widmen. Wer sich mit solchem Selbstbewusstsein, solcher Stimme und Band traditioneller Country Music hingibt, hat das überhaupt nicht nötig.