Die Location könnte nicht schöner sein. Der Harlinsdale Park - eine Jahrhunderte alte Pferdefarm - vor den Toren Franklins, Tennessee, bot für das erste Pilgrimage Festival den perfekten Rahmen: grüne Wiesen, sanfte Hügel, Pferdekoppeln, Holzscheunen und ein lieblich sich windender Fluss sorgten für ein herrliches Heile-Welt-Ambiente. Doch den Veranstaltern um den Better Than Ezra-Sänger Kevin Griffin, selbst in Franklin ansässig, schwebte mit Pilgrimage kein braves Country- und Folk-Festival vor. Im Gegenteil: Sie wollten die ganze Bandbreite der amerikanischen Musikszene abbilden - und dazu dem kulturellen und kulinarischen Leben von Williamson County eine Plattform bieten. Vor allem aber sollte es eine Veranstaltung für die gesamte Familie sein. Deshalb gehörten auch ein putziger Spielplatz, die von Kindern begeistert angenommene "Little Pilgrims"-Bühne sowie Yoga- und Breakdance-Stunden zum Paket.
Im Mittelpunkt stand natürlich die Musik: 35 Acts auf drei verschiedenen Bühnen. Die Organisatoren spannten bei der Bandauswahl stilistisch einen weiten Bogen - vom soliden Country-Rock des talentierten Lokalmatadoren Will Hoge über den Jazz der legendären Preservation Hall Jazz Band aus New Orleans und dem Alternative Rock von Cage The Elephant bis hin zu Größen des Country, Rock und Americana. Allen voran: Willie Nelson, Chris Stapleton, Sheryl Crow, Steven Tyler, Wilco, Weezer und die Punch Brothers.
"Es ist schon etwas Besonderes für mich, hier auftreten zu dürfen", schwärmte Chris Stapleton im Gespräch mit CountryMusicNews.de kurz vor seiner Show. Für ihn, den in Nashville lebenden Country-Überflieger, ist es "ein Heimspiel". Viele seiner Freunde und seiner Familie seien gekommen, um den neuen Star der Music Row auf der "The Grand Southern"-Bühne zu erleben. Entsprechend motiviert präsentierte Stapleton die Songs seines extrem erfolgreichen Solo-Debüts "Traveller". Wie hoch der bullige Sänger mit dem Rauschebart bei seinen Fans im Kurs steht, wurde deutlich, als sich der Beginn seiner Show um einige Minuten verzögerte. Die rund 3.000 Zuschauer vor der Fender Premium Audio Gold Record-Bühne konnten es nicht erwarten, bis Stapleton nebst Gattin Morgane und seiner Band um Harp-Ass Mickey Raphael die Bühne betraten - sie verbreiteten ungeduldig stattlichen Lärm.
Neben den etablierten Acts bot der Event aber auch eine Plattform für lokale Künstler, und für Newcomer und Geheimtipps. Bands wie Iron & Wine, The Lone Bellow, Dawes und John&Jacob zeigten mit ihren mitunter grandiosen Darbietungen, dass es im Grenzbereich zwischen Folk, Americana und Country keinesfalls an hoffnungsvollem Nachwuchs mangelt. Viele von ihnen haben sich aber schon ihre ersten Sporen im Musikbusiness verdient. So auch John&Jacob, die uns ebenfalls ein kurzes Interview gaben. Die vielversprechende Formation aus Nashville erfüllt mir ihrem eingängigen Sound die besten Voraussetzungen für eine Karriere. Dass sie das dafür nötige Talent mitbringen, belegen die Songwriter-Credits für den Band-Perry-Hit "Gone", sowie eine gemeinsame Tour mit Kacey Musgraves. Über die Texanerin mit dem mitunter losen Mundwerk kommt die Band schnell ins Schwärmen: "Wir haben so viel von ihr schon lernen können, so viele Details, die wichtig auf Tour sind", sagt John Davidson, "außerdem unterstützt sie uns, wo es nur geht. Wir kommen gerade von einem privaten Fest, das sie gestern in Texas gab. Sie hat uns dazu eingeladen."
Abräumer waren aber natürlich die großen, klangvollen Namen, die Etablierten, die Veteranen und Superstars. Sheryl Crow bot beispielsweise gemeinsam mit ihrer supercoolen Backingband eine fantastische Show, Wilco und Weezer wurden ihrem Image als Top-Live-Act ebenso gerecht wie Dr. John, die Punch Brothers oder die kessen Bluegrass-Punker von Trampled By Turtles. Mit letzteren sprachen wir unmittelbar nach ihrem umjubelten Auftritt auf der "Midnight Sun"-Bühne. "Eigentlich ist unsere Musik ja gar nicht für so große Locations konzipiert", sagt Bassist Tim Saxhaug, "aber es funktioniert trotzdem." Obwohl TBT, wie Trampled By Turtles kurz genannt werden, auch auf großen Festivalbühnen ohne Drumset auskommt, mangelt es der Band aus Minnesota keinesfalls an Groove und Drive. "Ich übernehme den Part der Bassdrum", sagt Tim, die anderen für typische Betonungen der Snare-Drum. Tatsächlich: Groove auch ohne Drums. Und Power bis zum Abwinken. "Deshalb mögen uns auch die Traditionalisten nicht so sehr", verrät Geigenspieler Ryan Young, "es ist ihnen zu laut und zu rockig."
Laut und rockig fiel erwartungsgemäß auch die Show des frisch gebackenen Country Musikers und Rock-Veteranen Steven Tyler. Gemeinsam mit seiner jungen, hochgradig attraktiven Begleitband Loving Mary avancierte der in die Jahre gekommene Aerosmith-Frontman ein Set der Superlative: Selten zuvor ließ sich eine schönere, homogenere aber auch explosivere Symbiose aus hemdsärmeligem Stadion-Rock und bodenständiger Roots-Musik bewundern, als bei diesem etwa 75-minütigen Auftritt. Für nicht wenige Gäste und Kritiker war es: das Highlight des Events.
Das andere Glanzlicht - auch da fand sich ein Konsens - setzte zum Festival-Ausklang am Sonntag um 18.30 Uhr Altmeister Willie Nelson. Der 82-Jährige machte bei der Show deutlich, dass er in einer anderen, in seiner eigenen Liga spielt. Cool, lässig, frei von jeder Hektik und irgendwie über den Dingen stehend präsentierte er einen etwa 80-minütigen Ausschnitt seines überwältigenden Song-Kataloges. Wettergott Petrus, der es bei dem Festival gelegentlich regnen ließ, hatte bei dieser Performance ein Einsehen: Er spendierte zu den tiefenentspannten Countryklängen den dazu perfekt passenden Sonnenuntergang. Der Harlinsdale Park leuchtete in den schönsten Farben. Man darf sich schon jetzt auf das nächste Pilgrimage-Festival freuen.