Slow West

Slow West

"Slow West" ist ein revisionistischer Westernfilm aus dem Jahr 2015, der von John Maclean in seinem Regiedebüt geschrieben und inszeniert wurde. Die Hauptrolle spielt Kodi Smit-McPhee als junger Schotte, der im amerikanischen Westen nach seiner verlorenen Liebe sucht und dabei von einem Kopfgeldjäger, gespielt von Michael Fassbender, begleitet wird. Der Film wurde am 24. Januar 2015 auf dem Sundance Film Festival 2015 uraufgeführt, wo er mit dem World Cinema Jury Prize des Sundance Institute ausgezeichnet wurde: Dramatic Winner.

Filmplakat: Slow West
 

Der wegen Mordes gesuchte Jay Cavendish (Kodi Smith-McPhee) hat sic h im Auftrag der Liebe in die Einöde von Colorado begeben, um der Frau seines Herzens, der unabhängigen Rose (Caren Pistorius), hinterher zu reisen. Unterwegs begegnet er dem undurchsichtigen Einsiedler Silas (Michael Fassbender), der es - was Jay nicht ahnt - ebenfalls auf Rose abgesehen hat. Nur ist Silas nicht im Guten unterwegs; stattdessen erwartet den Kopfgeldjäger eine saftige Prämie, wenn er die junge Frau tot an die Behörden übergibt. Silas verschweigt Jay seine Pläne und bietet sich ihm stattdessen als eine Art Bodyguard an, um ihn sicher zu seiner Frau und damit auch seinem verfolgten Ziel zu bringen. Aller Skepsis zum Trotz geht Jay auf Silas' Angebot ein und gemeinsam reitet das ungleiche Duo gen Western, doch das Gebiet ist nicht bloß durchzogen von merkwürdigen Einheimischen und Sittenstrolchen, die immer wieder den Weg der beiden Reiter kreuzen, auch eine Handvoll von Silas‘ Kollegen hat es auf Rose und ihren Vater abgesehen. Es kommt zu einem blutigen Showdown, an dessen Ende es zwangsläufig nur Verlierer geben kann.

Für sein Langfilmdebüt hat sich Regisseur John Maclean ein Genre ausgesucht, das für alle Beteiligten ein Risiko darstellt. Mit der gefallenen Wahl auf den Western versucht sich der gebürtige Brite aktuell allein auf weiter Flur zu behaupten; schließlich lassen sich die in einem Jahr in den Kinos erscheinenden klassischen Westernfilme an einer Hand abzählen. Andererseits kann sich Maclean nicht den Tarantino-Bonus zunutze machen. Zuletzt machte der Kultfilmer den Western wieder salonfähig ("Django Unchained"). Noch weiter zurück findet sich mit "True Grit" erst im Jahr 2010 wieder eine Produktion dieses Segments, die nicht in Gänze am Publikum vorbeiging. Trotz Riesenbudgets ("The Lone Ranger"), starbesetzter Abwandlungen des Genres ("A Million Ways to Die in the West") und von der Kritik gefeierter Stoffe ("The Homesman") scheint das Publikum dem Westernfilm gegenüber stets skeptisch. Sein Projekt dann auch noch "Slow West" zu nennen, zeugt von Selbstbewusstsein, denn obwohl dieser Trend nicht komplett an Maclean vorbeigegangen sein kann, so beweist er mit diesem zunächst vermutlich abschreckend wirkenden Titel - salopp formuliert - Eier. Denn "Slow West" ist vor allem eines nicht: slow, zu Deutsch: langsam.

Völlig weit hergeholt ist diese Namenswahl dennoch nicht, denn der vollständig von seinen beiden Hauptdarstellern Kodi Smith-McPhee ("Planet der Affen: Revolution") und einem einmal mehr grandios trocken aufspielenden Michael Fassbender ("12 Years a Slave") getragene Neo-Western legt trotz einer bewusst leicht behäbigen Inszenierung eine durchweg spürbare Energie an den Tag. Maclean, der auch das Drehbuch schrieb, widmet der Interaktion seiner beiden Hauptfiguren wesentlich mehr Aufmerksamkeit, als der Skizzierung ihres Umfelds. Ausgefallene Antagonisten, eine ausführliche Hintergrundgeschichte, geschweige denn spektakuläre Settings benötigt der Filmemacher nicht; trotz der Weite der Colorado-Einöde ist "Slow West" ein waschechtes Kammerspiel, dem der Charme früher Coen-Werke wie "O Brother, Where Art Thou? - Eine Mississippi Odyssee" oder "Barton Fink" nicht abgeht. Der Vergleich mit einer wesentlich böseren, gezielter inszenierten Variation des Oscar nominierten "True Grit" liegt obendrein nicht nur aufgrund der ähnlichen Ausgangslage nahe; John Macleans Film handelt von Rache, von Vergeltung und ist trotz allem doch ein Plädoyer für die Liebe, für die er gerade seinen jungen Protagonisten durch die Hölle schickt.

Ein ganz entscheidender Faktor ist allerdings der Humor. Mit einer gewitzten Mischung aus Slapstick, Wortwitz und der interessanten, sich vollkommen widersprechenden Attitüde beider Protagonisten raubt Maclean "Slow West" ebenjene Behäbigkeit, die sich auf den ersten Blick ergibt. Das zu Beginn noch schleichende Tempo weicht mit der Zeit einer pulsierend-unberechenbaren Atmosphäre, die gen Ende immer mehr in teils gar surrealen Wahnsinn gipfelt. Wenn der Regisseur etwa das Sprichwort "Salz in die Wunde streuen" 1:1 auf die Leinwand überträgt, um seine Charaktere leiden zu lassen, wendet sich der Filmemacher ganz bewusst an sein Publikum, das er dazu auffordert, dass jenem doch bitte das Lachen im Halse stecken bleiben möge. "Slow West" ist ein interessanter Film, der seine Defizite in einer detaillierten Charakterzeichnung durch das Spiel mit der Situation ausgleicht und seine Figuren nie der Lächerlichkeit preisgibt, obwohl er mit diesen durchaus hart ins Gericht geht. Eine gezielte, technische Umsetzung aus der schwelgenden Kameraarbeit von Robbie Ryan ("Philomena") und dem minimalistischen Score von Jed Kurzel ("Der Babadook") runden das stimmige Gesamtbild ab.

Fazit: "True Grit" in besser: John Maclean behauptet sich in der kargen Einöde des vernachlässigten Westernfilms als stilsicherer Jongleur unterschiedlichster Genreeinflüsse und kreiert ein spaßiges Kammerspiel mit Charme, Kreativität und viel schwarzem Humor. Ankucken!

vgw
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