Ricki - Wie Familie so ist

Ricki - Wie Familie so ist

In "Ricki - Wie Familie so ist" wird Meryl Streep zu einer Gitarren-Göttin der Hard-Rock-Szene

Wann immer man denkt, Meryl Streep, die Königin der US-amerikanischen Filmpreise, hätte in den letzten Jahren bereits sämtliche ihrer schauspielerischen Facetten gezeigt, der wird in konstanter Regelmäßigkeit eines Besseren belehrt. Die Rolle der psychisch labilen Witwe ("Im August im Osage County") steht der 66-jährigem Mimin ebenso gut zu Gesicht, wie die einer resoluten Medizinerin ("The Homesman") oder die der singenden Märchenhexe ("Into The Woods").

Filmplakat: Ricki - Wie Familie so ist
 

Musikalisch geht es in ihrer Vita weiter: In "Ricki - Wie Familie so ist" schlüpft Streep in die Rolle der nicht altern wollenden Coverband-Frontsängerin Ricki, die mit ihrer Band "The Flash" durch kleine Clubs tourt und nebenher notgedrungen in einem Feinkostladen arbeitet. Ricki lebt am Rande des Existenzminimums, hat längst Privatinsolvenz angemeldet. Lediglich die undurchsichtige Beziehung zu ihrem Bandkollegen Greg (Rick Springfield) entlockt ihr ab und an ein Lächeln, auch wenn sich beide schon lange nicht mehr darüber einig werden können, ob sie denn nun ein Paar oder nur Freunde sind. Eines Tages reißt ein Anruf die vom Schicksal gebeutelte Musikerin aus ihrem Trott: Ihre Tochter Julie (Mamie Gummer) wurde von ihrem Mann für eine Call-Center-Mitarbeiterin verlassen und leidet seither unter schweren Depressionen. Ricki beschließt, sie und ihren Ex-Mann Pete (Kevin Kline) zu besuchen und so endlich ihren vernachlässigten Mutterpflichten nachzukommen. Mit Rickis Auftauchen kochen alte Gefühle hoch. Unausgesprochenes kommt auf den Tisch und es schaut so aus, als hätte Ricki ihren Platz in ihrer eigenen Familie verspielt. Es bedarf viel Einfühlungsvermögen, um das Vertrauen von einst wiederherzustellen, doch viel Zeit hat sie dafür nicht, denn spätestens, als Petes neue Ehefrau Sharon (Keala Settle) auftaucht, erkennt Ricki, was sie durch ihren Weggang von ihrer Familie versäumt hat.

"Ricki - Wie Familie so ist" erzählt zwei Geschichten. Zum einen ist die Regiearbeit von "Das Schweigen der Lämmer"-Macher Jonathan Demme die Beobachtung einer unkonventionellen Familienzusammenführung. Die Art, wie der Filmemacher mit den unterschiedlichen Emotionen spielt und die Differenzen innerhalb von Rickis Familie zeichnet, fördert zwischen den Zeilen allerhand Gefühle zutage, die selbst innerhalb der Facetten "tragisch" und "komisch" noch vielfach variieren. "Ricki - Wie Familie so ist" konzentriert sich nicht auf ein simples schwarz-weißes Abbild von Taten und Gedanken. Der Film setzt den Fokus auf die stark ausgearbeiteten Figuren, die mit vielen Facetten versehen sind und doch ihren klaren Platz in der Familie haben. Dabei sind Kevin Kline, Streep sowie Julie-Darstellerin Mamie Gummer das Herzstück der Erzählung. Dem Rest der Familie wird wenig Screentime beigemessen, wodurch sich diese Charaktere kaum entfalten können.

Auf der anderen Seite geht es aber auch um die Musik als Karriereweg, um Lyrics als Sprachrohr für Dinge, die man nie sagen könnte und um das Statement, für das zu leben, für das man brennt. Leidenschaft ist der Storymotor von "Ricki - Wie Familie so ist" und denkt dennoch nicht nach solch einem simplen Muster, wie viele andere Geschichten nach dem "Wenn du willst, kannst du alles schaffen!"-Schema. "Ricki - Wie Familie so ist" stellt Fragen nach Verantwortung und Kompromissen; muss man seine eigenen Ansprüche hintenanstellen, wenn man Familie hat? Wie sehr bleibt man in Beziehungen, vielleicht sogar in der Mutter- oder Vaterrolle auf der Strecke? Und gibt es so etwas wie einen familiären Zusammenhalt, der sich durch egal welche Umstände nie zerschlagen lässt? Diese und viele weitere Fragen brennen dem Regisseur und seiner Drehbuchautorin Diablo Cody ("Young Adult") unter den Nägeln. Beantwortet werden diese nicht immer, wohl aber von Figuren zum Leben erweckt, wie sie realistischer, da geerdeter kaum sein könnten.

Die Musik in Ricki - Wie Familie so ist

Als Coverband spielen The Flash vorzugsweise bekannte Evergreens und aktuelle Rocksongs, die das Geschehen in Stimmung und Songtext wunderbar ergänzen. Bob Dylan, die Rolling Stones, aber auch Pink und Lady Gaga erhalten ihren Gedächtnisauftritt und Meryl Streep darf sowohl live singen, als auch Gitarre spielen. "Ricki - Wie Familie so ist" steht und fällt mit der begnadeten Performance von Streep, die eine Energie sowie eine zum Teil ungeahnte Freizügigkeit an den Tag legt und damit einmal mehr direkten Kurs auf die anstehenden Award-Verleihungen nehmen dürfte. Auch einen eigenen, akustischen Song darf sie mit selbstgespielter Gitarrenbegleitung vortragen; ein intensiver, sensibler Moment, der uns die von Wankelmut und Unsicherheit gezeichnete Figur der Ricki noch einmal näherbringt.

Fazit: "Ricki - Wie Familie so ist" kombiniert eine spitzzüngige Tragikomödie über eine Familienzusammenführung mit einem feschen (fiktiven) Musikerportrait, das nicht nur viele Musikgattungen in sich vereint, sondern auch eine emotionale Bandbreite an den Tag legt, die uns Ricki und ihre Familie ganz, ganz nah bringen. Oscar®-verdächtig!

vgw
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