"Alice lebt hier nicht mehr" ist eine US-amerikanische romantische Filmkomödie aus dem Jahr 1974 unter der Regie von Martin Scorsese und dem Drehbuch von Robert Getchell mit Ellen Burstyn in der Hauptrolle als Witwe, die mit ihrem Sohn im Teenageralter auf der Suche nach einem besseren Leben durch den Südwesten der Vereinigten Staaten reist. In Nebenrollen sind Kris Kristofferson, Billy "Green" Bush, Diane Ladd, Valerie Curtin, Lelia Goldoni, Vic Tayback, Jodie Foster, Alfred Lutter und Harvey Keitel zu sehen.
Der Film hatte seine Premiere bei den 27. Filmfestspielen von Cannes, wo er um die Goldene Palme konkurrierte. Er war ein kritischer und kommerzieller Erfolg und spielte bei einem Budget von 1,8 Millionen Dollar 21 Millionen Dollar ein. Bei der 47. Verleihung der Academy Awards wurde Burstyn als beste Schauspielerin ausgezeichnet, Ladd und Getchell waren für die beste Nebendarstellerin und das beste Originaldrehbuch nominiert.
Heute ist Martin Scorsese ("Killers of the Flower Moon") eine Filmlegende, vor 50 Jahren stand der US-Regisseur aber noch am Anfang seiner Karriere. Mit "Alice lebt hier nicht mehr" erlebte der heute 82-Jährige seinen Durchbruch. Durch den internationalen Erfolg konnte er zwei Jahre später seinen Kultfilm "Taxi Driver" drehen. Dass er "Alice lebt hier nicht mehr" entstehen konnte, verdankt Scorsese in erster Linie Ellen Bustyn, die ihren nächsten Film nach "Der Exorzist" unbedingt mit einem Newcomer arbeiten wollte. Country-Star Kris Kristofferson, der sich zuvor mit "Cisco Pike" und "Pat Garrett jagt Billy the Kid" als Schauspieler etablierte.
Die heute 92-jährige Burstyn äußerte sich später, dass der in diesem Jahr mit 88 Jahren verstorbene Kristofferson, damals als junger Mann noch recht unsicher und eingeschüchtert war. Scorsese lobte ihn als einen seiner Lieblingsdarsteller, weil er den starken und schweigsamen Helden spielte, zu solchen Männern blickte Scorsese auf, dennoch blieb es bei dieser einmaligen Zusammenarbeit.
In Socorro, New Mexico, kommt Alice Hyatts Ehemann Donald (Billy Green Bush) bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Die ehemalige Sängerin verkauft den Großteil ihres Besitzes, um mit ihrem Sohn Tommy (Alfred Lutter) in ihr Elternhaus in Monterey, Kalifornien, umzuziehen, wo sie als Kind so glücklich war. Sie will auch wieder als Sängerin arbeiten, unterwegs findet sie in Phoenix, Arizona, tatsächlich eine Anstellung. Dorf lernt sie Ben (Harvey Keitel) kennen, einen jüngeren Mann, der sich aber als ein Gewalttäter entpuppt und die Wohnung von Alice verwüstet. Aus Angst um ihre Sicherheit verlassen Alice und Tommy schnell die Stadt.
Weil ihr das Geld ausgeht, nimmt sie Tucson, Arizona, einen Job als Kellnerin in einem Diner an. Hier freundet sie sich mit den Frauen Flo (Diane Ladd) und Vera (Valerie Curtin) an und lernt den geschiedenen Rancher David (Kris Kristofferson) kennen. Er verliebt sich in Alice, doch sie hat Zweifel, eine neue Beziehung einzugehen. Erst als er zu Tommy eine väterliche Beziehung aufbaut, geht sie auf David ein. Doch dann gerät der Sohn mit David beim Gitarrenspielen in einen Streit, der mit einer heftigen Ohrfeige endet. Prügel kann Alice aber keinesfalls hinnehmen.
Hauptdarstellerin Ellen Burstyn gewann für ihre Rolle den Oscar, anfangs hatte sie aber doch noch die kleine Befürchtung, Scorsese würde sich mit Frauen nicht auskennen, weil er in seinen vorherigen Filmen nur Männer in den Mittelpunkt gerückt hätte. Der Filmemacher bestätigte das, ließ aber wissen, dass er lernfähig ist. Diese Ehrlichkeit überzeugte Burstyn.
Tatsächlich gelingt es Scorsese, ein Bild einer starken Frau Anfang der Siebzigerjahre zu entwerfen. Bis zum Tod ihres Mannes lebt Alice ein konservatives Hausfrauenleben, die der Familie zur Liebe ihren Traum aufgegeben hat, eine Sängerin zu werden. Insofern ist der unerwartete Tod des Gatten in gewisser Weise auch ein Befreiungsakt - bedingt, denn die ganze Freiheit steht er als verantwortungsvolle Mutter nicht offen. Sie muss dem kleinen Tommy ein neues Zuhause besorgen. Deshalb entscheidet sie sich für Monterey in Kalifornien, wo sie anscheinend selbst eine gute Kindheit verbrachte.
Martin Scorsese eröffnet seinen Film mit einer achtjährigen Alice (Mia Bendixen) in einer künstlichen Welt, die bewusst nach Filmstudio aussieht. Scorsese verbeugt sich damit vor dem 1939 gedrehten Musical "Das zauberhafte Land", in dem Judy Garland alias Dorothy ihren weltberühmten Song "Over the Rainbow" singt. Eine Metapher für den Weg, den auch Alice finden muss, um zu sich zu finden. Monterey ist somit doch nur ein Traumland, also kein neues Zuhause für sie und ihren Sohn. Das kann ihr aber vielleicht Kris Kristofferson in seiner Rolle als Rancher bieten. Eine solide Farm, ein starker Mann, ein schönes Zuhause. Denn wie stellt Dorothy in "Das zauberhafte Land" am Ende fest: "There‘s No Place Like Home."
Gewiss ist das Frauenbild, dass Mitte der Siebzigerjahre noch revolutionär war, heute längst überholt. Dass Alice, die sich als alleinerziehende Mutter auf den Weg in neues Leben begibt, doch wieder im Hafen einer Beziehung landet, mag manchen Feministinnen heutzutage bitter aufstoßen, zumal hier Männern mit leicht mal die Hand ausrutscht. Selbst den in seiner Rolle eher als liebenswert dargestellten David passiert das, als Tommy faucht, er könne die Musik von David nicht ausstehen. Dabei hat dieser gerade versucht, ihm das Gitarrenspielen beizubringen.
Tatsächlich darf Kris Kristofferson dabei sogar singen. "I'm So Lonesome I Could Cry" lautet der Titel des Songs von Hank Williams. Drei Songs werden von Ellen Burstyn zum Besten gegeben, weil sie sich in ihrer Rolle als Sängerin beweisen muss. Aber auch Dolly Parton ist mit "I Will Always Love You" auf dem Soundtrack vertreten. Leider kommt das musikalische Talent von Kristofferson mit nur einem Song dann doch etwas kurz. Im Vordergrund stehen sowieso seine schauspielerischen Fähigkeiten - und da beweist sich ein weiteres Mal, dass Kristofferson durchaus eine Leinwandpräsenz hat. Auch wenn er als David relativ spät auftaucht, kann man sogleich nachvollziehen, warum Alice seinen Avancen erliegt. Genau das macht einen Filmstar aus, und Kris Kristofferson war auf jeden Fall einer, der es in Filmen wie "Convoy", "Heaven‘s Gate - Das Tor zum Himmel" und "Blade" immer wieder unter Beweis stellte.
Fazit: Ein Frühwerk von Meisterregisseur Martin Scorsese, der eine starke Frau porträtiert. Bei aller Power gehört zu ihrer Selbstverwirklichung auch ein neuer Mann. Eindrucksvoll gespielt von Ellen Burstyn und Kris Kristofferson.