American Primeval

American Primeval

"American Primeval" ist eine amerikanische Western-Fernsehserie, die von Mark L. Smith entwickelt und geschrieben wurde und bei der Peter Berg Regie führte. Die Serie mit Taylor Kitsch und Betty Gilpin in den Hauptrollen spielt im Jahr 1857 während des Utah-Krieges. Sie wurde am 9. Januar 2025 auf Netflix veröffentlicht.

Filmplakat: American Primeval
 

Sara Rowell und ihr Sohn Devin verlassen Kansas, um in Fort Bridger, Wyoming, nach Devins Vater Beckworth zu suchen. Dort erfahren sie, dass Beckworth sich in einem entlegenen Gebiet namens Crook Springs tief in den Bergen aufhält. Obwohl Jim Bridger, der Gründer des Forts, sie eindringlich vor den gefährlichen Winterbedingungen und möglichen Konflikten in der Region warnt, bleibt Sara entschlossen, die Reise fortzusetzen. Es ist 1857 und das Land, das sie durchqueren, ist ein Ort, an dem es keine Zivilisation gibt.

Mit der Miniserie "American Primeval" feiert Taylor Kitsch sein Comeback

Grundgüter, "American Primeval" ist ein Trip durch einen Wilden Westen, der nach einer ganz neuen, eigenen Bezeichnung sucht. Taylor Sheridan hat mit "1883" Ende 2022/Anfang 2023 bereits die Mär des wilden, aber auch irgendwie romantischen Westens zerstört und in einen Pfad aus Blut und Tränen verwandelt. Im Vergleich zu "American Primeval" wirkt "1883" jedoch wie ein humorvoller Roy Rogers-Western aus dem Jahre 1938, Jodeln inklusive.

"American Primeval" ist eine Geschichte, die den Mythos des Wilden Westens nicht nur entzaubert, sondern ihn regelrecht zertrümmert. Die Netflix-Serie zeigt eine Welt, in der die Gewalt nicht einfach allgegenwärtig ist: Gewalt ist der Alltag, der Zustand, der auftritt, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen. Dies erlebt Sara Rowell (Betty Gilpin) nach ihrer Ankunft in Fort Bridger, wo ein französisch sprechender Mann ihren angeheuerten Führer Mr. Frye (Clint Obenchain) erst anspricht, dann seine Waffe zieht und ihn erschießt. Warum? Weil er besoffen ist? Weil er sich von Frye nicht verstanden fühlt? Wer weiß, es spielt auch keine Rolle. Er erschießt ihn halt, wird seinerseits vom Jim Bridger niedergeschlagen und der gibt seinen Männern daraufhin die Order, den Franzosen am Tor aufzuhängen.

Die Beiläufigkeit, mit der die Leben der Männer enden, sie ist in dieser Welt Normalität. Warum Sara sich dennoch nicht von ihrem Plan abbringen lässt, das Gebiet zu durchqueren, offenbart sich bald durch das Auftauchen eines Kopfgeldjägers in Fort Bridger. Sara heißt in Wahrheit Sara Holloway und sie hat in Boston nicht nur einen Mann umgebracht - die Familie des Mannes ist bereit, demjenigen, der sie lebend nach Boston überführt, 1.500 Dollar zu zahlen (tot die Hälfte).

Beim Auftauchen des Kopfgeldjägers befinden sich Sara und ihr Sohn (Preston Mota) bereits im Schlepptau eines kleinen Trecks gläubiger Mormonen, die sich einem größeren Treck anschließen wollen, nachdem ihr Versuch, einen neuen Führer für sich zu gewinnen, an dessen mangelndem Interesse fehlgeschlagen ist.

Isaac Reed (Taylor Kitsch) heißt der Scout, der alleine im Nirgendwo lebt. Sara ahnt nicht, dass er ihr heimlich folgt. Was sich als Glücksfall herausstellt, denn kaum haben die Mormonen den großen Treck erreicht, wird dieser von einer als Shoushonen kostümierten Mormonen-Miliz überfallen - und diese macht keine Gefangenen. Lediglich Sara, ihr Sohn Devin und eine junge Shoushonin namens Two Moons (Shawnee Pourier), die sich in ihrem Planwagen versteckt hat, entkommen. Auch dank der Hilfe von Isaac. Einige wenige Mormonenfrauen werden am Leben gelassen, aber an Shoushonen ausgeliefert, die der Mormonenmiliz geholfen haben. Besagte Shoushonen werden etwas später allerdings von Abtrünnigen ihres Stammes dahingemetzelt und wer jetzt den Überblick verloren hat - Willkommen am Ende der ersten Episode!

Es gibt keine Helden in "American Primeval"

Die erste Episode legt den Ton für die Serie fest: Es gibt keine Helden und nicht einmal eine geradlinige Geschichte von Triumph oder Gerechtigkeit. Beispiel der Kopfgeldjäger. Der wird schaurig-geheimnisvoll in die Serie eingeführt, um nur wenige Szenen später von Männern aus dem Fort abgeschlachtet zu werden, die Saras Steckbrief an sich nehmen und ihrerseits nun Jagd auf sie machen.

Two Moons derweil taucht zunächst als Messerdiebin in der Geschichte auf. Daraufhin erleben wir, wie sie in ihrem Bett liegt, damit sich im nächsten Moment ihr Vater über sie hermacht. Zum letzten Mal, denn einen Augenblick später ist klar, warum Two Moon das Messer gestohlen hat. Sie entledigt sich ihres Peinigers, muss dafür aber fliehen.

Gewalt über Gewalt. Regisseur Peter Berg geht in seiner Serie auf volles Risiko und konfrontiert das Publikum fast ausschließlich mit Figuren, die keine echte Identifikation möglich machen. Für gewöhnlich baut eine Serie Figuren auf, mit denen man leiden kann, deren Gefühle sich auf die Zuschauerschaft übertragen, die echte Bezugspunkte darstellen.

Isaac hat seine Momente, denn mit der zweiten Episode bekommt er eine Background-Story, die sein Verhalten erklärt. Ein echter Held ist er nicht, dafür ist er zu rau und unnahbar, aber zumindest ist er ein Mann, der auf seine Art und Weise versucht, dann eben doch das Richtige zu tun.

Sara indes bleibt schwierig. Nicht nur, weil wir nicht wissen, warum sie in Boston einen Mann umgebracht hat. Ihr oft aufdringliches Verhalten lässt darauf schließen, dass sie unter Umständen auch kein Unschuldslamm ist. Dass sie ihren Sohn in die Obhut seines Vaters übergeben möchte, mag erst einmal verständlich erscheinen. Sie muss damit rechnen, für ihre Tat zur Rechenschaft gezogen zu werden und will ihren Sohn versorgt wissen. Dass sie dafür aber durch ein Territorium reist, in dem der Wahnsinn die Normalität darstellt, während Normalität durch Abwesenheit glänzt, wirkt schon (mit Blick auf die Gefahren für ihren Sohn) schwierig.

Dann ist da die Frage, die Isaac ihr stellt: Warum glaubt sie eigentlich, dass sich der Vater um seinen Sohn kümmern wird, wenn er bislang offenbar kein Interesse an ihm gehabt hat? Dass die Figuren funktionieren, ist der Tatsache geschuldet, dass Regisseur Berg die Figuren als komplexe Charaktere inszeniert, die aufgrund ihrer persönlichen Geheimnisse Interesse erzeugen. Außerdem gibt es schließlich doch zwei Figuren, die eine emotionale Bindung möglich machen: Devin und Two Moon.

Devin ist jung und unschuldig. Er ist geduldig und aufgeweckt, es gelingt ihm sogar, einem Mann wie Jim Bridger (Shea Whigham) ein Lächeln abzuringen (weshalb der seine Mutter offenbar nicht an den Kopfgeldjäger verrät). Two Moons ist das Opfer des eigenen Vaters (der ihr offenbar auch die Zunge abgeschnitten hat - "American Primeval" lässt keine Gewalttat aus). Sie hat den Abgrund der Menschlichkeit erlebt, sie tritt quasi von einer Hölle in die nächste und findet in Devin einen Vertrauten, sodass das Kind und die Jugendliche eine Art Schutzgemeinschaft bilden, die auf gegenseitigem Trost basiert. Devin gibt Two Moons die Menschlichkeit zurück, die ihr genommen wurde, während sie ihm hilft, in dieser grausamen Welt zu überleben. Es ist diese Beziehung, die der schwarz-weißen Serie ein winziges Fünkchen Hoffnung verleiht.

Schwarz/weiß?

Schwarz-weiße Serie? Nein, die Serie ist nicht in schwarz-weiß gedreht worden. Regisseur Peter Berg hat seine Bilder aber so weit von Farbe bereinigt, dass visuell der Eindruck entsteht, als gäbe es in dieser Welt keine Schönheit. Sonne? Gibt es nicht. Blumenwiesen? Gibt es nicht. Weideland? Okay, das gibt es. Es wird halt nur nicht genutzt, denn da gibt es die Menschen, die hier leben und vor allem damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu massakrieren.

"American Primeval" ist dabei keine ausschließlich düstere Fantasie. Das Massaker an den Siedlern etwa hat wirklich 1857 stattgefunden und es waren Mormonen, die das Massaker begingen. Warum? Weil sie in Ruhe (vor Washington) in ihrem Land leben wollten. Ruhe bedeutete für zumindest diese Mormonen vor allem "ein Mann - viele Ehefrauen". So kam es zu einem regelrechten Krieg zwischen mormonischen Gruppen / Milizen und dem US-Militär. Dies alles fußt auf historischen Begebenheiten, die Drehbuchautor Mark L. Smith geschickt nutzt, um das Westerngenre radikal zu dekonstruieren. Seine Version des Westens ist nicht die von tapferen Pionieren und edlen Cowboys, sondern eine Welt, die von Fanatikern, Geächteten und Wahnsinnigen geformt wurde. Die Eroberung des Westens wird hier nicht als heroischer Akt dargestellt, sondern als blutiges Kapitel menschlicher Grausamkeit und Selbstsucht.

Auch die Native Americans, vorwiegend Shoushonen, sind in seiner Welt keine Opfer. Ja, sie sind Vertriebene, sie werden in ihrem Land zurückgedrängt. Doch unter ihnen gibt es eben auch jene, die sich in der Hölle eigentlich ganz wohl fühlen und die Gewalt nicht als einen Akt der Verteidigung verstehen, sondern eher freudig zelebrieren.

Die Arbeit des Regisseurs Peter Berg

Regisseur Peter Berg war bei den Dreharbeiten 59 beziehungsweise 60 Jahre alt. Berg, der als Schauspieler begann und in der Rolle des jungen Arztes Dr. Billy Kronk in der Serie "Chicago Hope - Endstation Hoffnung" Mitte der 90er Jahre einige Zeit lang eine gewisse Popularität genoss, schien als Regisseur bislang unvollendet.

Peter Berg begann seine Karriere als Regisseur mit der schwarzen Komödie "Very Bad Things", die 1998 beim Publikum und der Kritik zunächst scheiterte, dann aber auf dem noch jungen DVD-Markt zu einiger Popularität gelangte, als böse Satire auf das Leben in einer US-amerikanischen Vorstadt. Mit der für Hollywood-Verhältnisse eher übersichtlich budgetierten Actionkomödie "Welcome to the Jungle" bewies Berg handwerkliches Geschick und etablierte sich als gefragter Regisseur für krachendes Actionkino. "Operation: Kingdom", "Battleship", "Deepwater Horizon" sind einige der Filme, die er inszeniert hat. Gemein ist ihnen, dass er stets als Auftragsregisseur agierte. So floppte "Battleship" und dessen Nachfolger, die Superheldenkomödie "Hancock", wurde ziemlich verrissen. Was Berg aber als Regisseur "überlebt" hat, da er zu den Regisseuren gehört, die man bucht, weil sie große Budgets handhaben können, die sich aber eben nicht vor die Mikrofone stellen und über ihre künstlerischen Ambitionen reden. Er agierte als Handwerker - im besten Sinne des Wortes. Dass Berg jedoch sehr viel mehr als Radau kann, hat er nicht nur mit seinem Debüt 1998 bewiesen: Für Netflix inszenierte er auch die Serie "Painkiller", die erklärt, warum sich die USA seit den 1990er Jahren in einem Opioidrausch befindet.

Mit "American Primeval" bringt Peter Berg jetzt seine Fähigkeiten zusammen. Die Serie ist keine simple Aneinanderreihung von Actionszenen, sondern eine düstere, rohe Blutoper, die ihre Geschichte konsequent durch die allgegenwärtige Gewalt erzählt. Jede Szene fügt dem grausamen Mosaik ein weiteres Steinchen hinzu und formt ein bedrückendes, aber faszinierendes Epos. Berg präsentiert sich dabei als grandioser Geschichtenerzähler und schöpft aus über zwei Jahrzehnten Erfahrung als Actionfilmregisseur - was der Inszenierung eine beeindruckende Wucht verleiht. Man könnte noch seitenweise über die herausragenden Schauspieler, die klug eingesetzten Wendungen, den ungewöhnlichen Soundtrack der Independent-Band Explosion in the Sky oder die beklemmende Atmosphäre philosophieren. Doch irgendwann ist genug gesagt und der Moment gekommen, Netflix zu starten.

Fazit: Wenn es eine Serie gibt, die zuletzt das Prädikat "absolute Kuckpflicht" verdient hat, dann ist es zweifellos "American Primeval".

vgw
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