Der Macher von "Heels"

Mit Schurken und Helden kennt sich Serienerfinder Michael Waldron aus. Er ist der Autor und Executive Producer der Marvel Cinematic Universe-Serie "Loki", außerdem trägt er die Verantwortung für die kommende Marvel-Großproduktion "Doctor Strange in the Multiverse of Madness". Im Januar 2021 wurde er außerdem engagiert, ein neues "Star Wars"-Projekt zu entwickeln. Michael Waldron hat in einem Zeitraum von gerade einmal etwa drei Jahren einen rasanten Sprint vom unbekannten Lohnautor zu einem der gefragtesten Projektentwickler der Traumfabrik Hollywood hingelegt.
Mit Blick auf dieses Tempo und seine aktuellen Projekte beweist er mit seiner Show "Heels" allerdings, dass er sich auch auf ruhige Töne versteht, denn das ist vielleicht die größte Überraschung seiner vom Sender Starzplay in Auftrag gegebenen und produzierten Serie: "Heels" ist ein fast schon zurückhaltendes Kleinstadtdrama über das Verhältnis zweier Brüder zueinander und ihrer Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft.
Im Ring sind die Fronten klar. Da ist Jack der Böse. Mit seinen kurz geschorenen Haaren, seinem Killerblick und einer kaum zu bändigen Wut nimmt er die Aggressionen des Publikums ihm gegenüber als Aphrodisiakum auf. Jack wird gehasst.
Ganz anders Ace. Mit seinen langen, blonden Haaren und dem stets glatt rasierten Gesicht, wirkt er wie der freundliche Held aus der Nachbarschaft. Ace liebt sein Publikum, das Publikum liebt den großgewachsenen Ace und es leidet mit ihm, wenn Jack sich einmal mehr unfairer Mittel bedient, um ihm den Champion-Gürtel abzunehmen.
Sobald sich der Vorhang jedoch über das Spektakel legt, ist das Spiel vorbei. Zumindest für Jack, der sich dann um den Familienbetrieb kümmern muss - erst in der zweiten Episode wird offenbart, dass Jack einen zweiten Job in einem kleinen Baumarkt benötigt, um den Betrieb aufrecht halten und genug Geld fürs eigene Überleben verdienen zu können.
Jack ist mit Stacey verheiratet, zusammen haben sie einen Sohn. Sie sind eine typische Kleinstadtfamilie aus Georgia. Jack weiß sehr genau seine Ring-Identität von seiner Identität als Ehemann und Vater zu trennen. Im Gegensatz zu seinem Bruder Ace, der von dem großen Durchbruch träumt und auch jenseits des Rings aus der Heldenrolle nicht auszubrechen vermag. Nur leider verwandelt sich seine Heldenrolle außerhalb des Rings in eine überhebliche Arroganz. In Duffy ist er ein Star, warum also, verdammt nochmal, schafft er es nicht raus aus diesem Kaff? Liegt es an seinem Bruder, dem ihr Vater den Betrieb überschrieben hat? Einen Vater, der Ace nie zugetraut hat, eine führende Rolle zu übernehmen?
Das weiße Blatt
Wie tief der Riss zwischen den Brüdern längst verläuft, zeigt sich darin, dass Jack immer wieder versucht, neue Geschichten für ihre gegenseitigen Animositäten im Ring zu kreieren: Am Ende des Tages aber sitzt er doch nur vor einem weißen Blatt, auf dem gerade einmal drei Wörter stehen: "Ace vs. Jack".
Das Problem der beiden ist, dass sie es nicht schaffen zu einer Aussprache zu gelangen, in der sie ihre Gefühle, ihr Sorgen, vielleicht auch ihre Wut einmal in Worte fassen würden. Nein, Jack und Ace reden durchaus miteinander, dennoch schweigen sie, wenn es um die wesentlichen Momente des Lebens geht: Etwa ihre Beziehung zueinander. Bis der schmierige Wrestling-Scout Wild Bill Hancock in Jacks Büro marschiert.
Jack kennt diesen Mann nur zu gut. Er ist eine Nummer in der regionalen Szene, seine Wrestler haben TV-Verträge. Sie mögen keine Stars sein, aber sie haben ihren Status. Wild Bill will Ace für sich gewinnen, zu der Unbill von Jack, der glaubt, Ace im Grunde vor sich selbst beschützen zu müssen. Ace ist ein großes Kind, gefangen im Körper eines erwachsenen Mannes. Einfach unreif. Verhindern, dass er sich mit Wild Bill unterhält, kann er nicht. Jack bleibt keine andere Wahl als Ace eine Lektion zu erteilen: Im Ring. Nach diesem Kampf jedoch ist nichts mehr, wie es einmal war.
Die Ruhe
"Heels" wählt inszenatorisch einen bedächtigen, ruhigen Erzählrhythmus. Die Dialoge der handelnden Figuren sind oft sehr lang (außer jene Dialoge zwischen Ace und Jack, was einen spürbaren, gewollten Bruch im Rahmen dieses gewählten Rhythmus darstellt). Überhaupt steht dieser Rhythmus in einem krassen Gegensatz zum gewählten Spielort, der Welt des Provinz-Wrestlings. Wrestling ist brutal und laut. Nichts von dieser Welt im Ring aber wird in der Welt von "Heels" in die Außenwelt übertragen. Vielmehr nimmt sich die Geschichte ihre Zeit, den Konflikt der Brüder zu sezieren, ihn ganz und gar ins Zentrum zu stellen - ohne jene klaren Rollenzuweisungen, die sie im Ring verkörpern.
"Tief in seinem Inneren herrscht ein phänomenales Durcheinander", beschreibt Alexander Ludwig seine Rolle als Ace im Interview mit CountryMusicNews.de. Ludwig hat sich nach Nebenrollen in Filmen wie "Die Tribute von Panem", "Lone Survivor" oder "Die Jagd zum magischen Berg" dank einer Hauptrolle in der Serie "Vikings" als erfolgreicher Seriendarsteller etablieren können und wurde Anfang 2019 für die Rolle des Ace gecastet. "Ace ist wie ein Kind, das versucht, aus dem dunklen Schatten seines Vaters zu treten. Er hat einen komplizierten, explosiven Charakter, und ehrlich gesagt, hat mich genau das daran gereizt."
Es sind die kleinen Momente, in denen dieses Durcheinander sichtbar wird. Agiert Ace arrogant, außerhalb des Rings, stellt er eine limitierte Persönlichkeit dar, die außer Überheblichkeit und Selbstverliebtheit wenig zu bieten hat. Aber dann sind da jene Momente wie der, in dem ihm Jack am Ende der ersten Episode im Ring eine Lektion erteilt und Ace, einem kleinen Kind gleich, zu weinen beginnt. Es ist kein arrogantes, wütendes Weinen. Vielmehr spiegelt sich in seinem Gesicht pures Nichtverstehen wider, ein Chaos der Gefühle, ja vielleicht sogar so etwas wie Angst.
Angst davor, mit diesem Leben nicht klarzukommen, in dem Jack immerhin mit einer Familie ein glückliches Leben führt - allen Problemen finanzieller Art im Betrieb zum Trotz?
Der dezent Abgründige
Stephen Amell, wie Ludwig Kanadier, ist Jack. Amell, bekannt als "Arrow" aus der gleichnamigen Serie und dem dazugehörigen Arrowverse, legt Jack als einen Mann an, der nach Außen hin (jenseits des Rings) ganz einfach sympathisch wirkt. Jack ist aufrichtig, anständig, sogar ein sonntäglicher Kirchgänger. In Momenten aber, in denen er alleine ist, lodert in ihm etwas Abgründiges auf. Etwas, das er offenbar vor der Welt verbirgt, ja das er vor sich selbst versteckt und was er nur im Ring ausleben kann, wenn er in die Rolle des Heels schlüpft.
Ob das Konzept die Serie nicht nur bis zum Ende der ersten Staffel tragen, sondern darüber hinaus in eine zweite Staffel führen wird? "Heels" weiß über seine beiden Hauptfiguren und ihre Darsteller zu punkten, die jenseits jeder Kritik agieren. Doch leider läuft das Konzept auch Gefahr, sich schnell abzunutzen, wenn der Fokus, wie ihn die erste Staffel setzt, fast schon manisch auf die beiden Hauptfiguren gerichtet bleibt.
Obwohl ein recht großes Ensemble die kleine Welt von Duffy mit Leben erfüllt, bleiben all die Figuren aus dem Umfeld von Jack und Ace doch nur deren Stichwortgeber. Dies geht so weit, dass sich etwa die Gespräche der Wrestler aus ihrem Team - wenn sie sich nicht gerade humorvolle Wortgefechte liefert - ausschließlich um Jack und Ace drehen. Hier limitiert sich die Serie im Grunde selbst, schöpft sie ihr Potenzial doch nicht aus, denn schauspielerisch ist das, was die "Nebendarstellerinnen und Nebendarsteller" bieten, gleichfalls hohes Niveau.
Immerhin: Man muss kein Wrestling-Fan sein, um der Serie folgen zu können. Wrestling spielt eine Rolle, sicherlich. Und immer wieder dient der Kampf als eine Metapher für Konflikte, die eigentlich außerhalb des Rings ausgetragen werden. Aber auch ein anderer Rahmen wäre durchaus möglich gewesen.
Fazit: "Heels" lebt von seinen beiden überragenden Hauptdarstellern und einer klassischen Bruder-Zwist-Geschichte, die vor allem in ihren ruhigen Momenten zu fesseln versteht. Ihr langsamer Erzählrhythmus dürfte gleichzeitig aber auch nicht jedermanns Sache sein.
Studio: Lionsgate / Paramount | Land: USA, 2021 |
FSK: freigegeben ab 6 Jahren |
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Drehbuch von | Darsteller | Rolle | ||||
Michael Waldron | Stephen Amell | ... | Jack Spade | |||
Alexander Ludwig | ... | Ace Spade | ||||
David James Elliott | ... | Tom Spade | ||||
Mary McCormack | ... | Willie | ||||
Kelli Berglund | ... | Crystal | ||||
Nigel Crocker | ... | Wild Card McGee | ||||
Roxton Garcia | ... | Thomas Spade | ||||
James Harrison, Jr. | ... | Apocalypse |