Eine Farm so groß wie Belgien? Da werden sogar texanische Rinderbarone blass, und selbst die Familie "Yellowstone"-Dutton dürfte anerkennend nicken. Doch tatsächlich umfasst die Farm der Familie Lawson genau diese Fläche. Sie befindet sich jedoch nicht in Arizona oder Missouri, sondern im Norden Australiens.
Serie "Territory" mit Robert Taylor aus "Longmire"
"Territory" von Ben Davis und Timothy Lee ist Down Unders Beitrag zum Neo-Western-Genre. Netflix hat die Serie produziert und sie bewusst in einem visuellen Stil gehalten, der sich kaum von einem amerikanischen Neo-Western unterscheidet. Das Land ist weit und staubig, die Männer tragen Cowboy-Hüte, die Familie verdient ihr Geld mit Viehzucht und ein Patriarch vom alten Schlag steht an der Spitze.
Auch Rinderdiebe spielen eine Rolle in der Serie, die keinesfalls in der Vergangenheit angesiedelt ist, sondern im Hier und Jetzt. Diese Gegenwart beginnt mit dem Tod des ältesten Sohnes Daniel (Jake Ryan). Wie er ums Leben kommt, wird uns gezeigt: Im Sand liegend, mit einem gebrochenen Oberschenkel, wird er von Dingos angegriffen, die in ihm eine hilflose Beute erkennen. Ungeklärt bleibt, wie es zu dem Unfall kam oder was er in diesem einsamen Teil des riesigen Landes suchte - denn es ist nicht der Ort, an dem sich die Rinder gewöhnlich hinbegeben, denn es gibt zu wenig Weidegras.
Tatsächlich leben die Rinder auf dem riesigen Land frei; es gibt keine kultivierte Herde, sondern im Grunde viele verschiedene Herden. Man lässt die Tiere wild leben - bis man sie einfängt. Das ist ein lukratives Geschäft, denn viele der gesunden Tiere werden zur Zucht ins Ausland verkauft, sie gelten als gesund und frei von typischen Zuchtkrankheiten. Zumindest sollte es ein lukratives Geschäft sein, doch wie schon zu Beginn der Geschichte klar wird: Den Lawsons geht es offenbar nicht so gut, wie sie sich nach außen darstellen und es war Daniel, der die Farm zusammengehalten hat, denn die Familie als solche ist eher dysfunktional.
Sein Bruder Graham (Michael Dorman; "Joe Pickett") ist ein anständiger Kerl, aber ein Trinker. Schnell wird klar, warum Graham ein Trinker ist: weil er eben ein anständiger Kerl ist, der sich jedoch nie von seinem Vater Colin (Robert Taylor; "Longmire"), dem Patriarchen, lösen konnte. Colin hat ihn immer als Schwächling betrachtet, und seine Verachtung ist noch gestiegen, seit Graham an der Flasche hängt. Außerdem ist Graham mit der falschen Frau verheiratet. Emily (Anna Torv; "Fringe - Grenzfälle des FBI") ist ebenso wie Graham das, was man gemeinhin halbwegs anständig nennen würde (auch wenn sie sich im Verlauf der Serie von einem Konkurrenten der Lawsons durchaus schöne Augen machen lässt). Emily ist stark und der einzige Grund, warum Graham noch nicht vollends im Suff untergegangen ist. Sie hält ihn aufrecht, steht ihm bei, gibt ihm Kraft - auch wenn es ihr selbst sehr viel Kraft kostet.
Eigentlich ist Emily das, was man sich unter einer perfekten Schwiegertochter vorstellt. Leider ist sie der Spross einer Familie, die mit den Lawsons verfeindet ist. Wie so viele Menschen im Umfeld der Farm, die kaum dass Daniel Dingofutter geworden ist, beginnen, ihre alten Rechnungen auszupacken. Rechnungen, die sie vor allem mit Colin begleichen wollen. Colin ist ein Mensch, dem Loyalität ein Fremdwort ist. Ohne Rücksicht auf Verluste agiert er stets nach eigenem Vorteil, immer bereit, andere zu hintergehen, wenn es ihm nützt. Der einzige Mann, den er jemals auf Augenhöhe akzeptiert hat, war Daniel. Vielleicht, weil Daniel sein Ebenbild war - im Gegensatz zu Graham. Dass Graham Colin auch noch die Schuld am Tod der Mutter gibt und nie ein Zweifel daran aufkommt, dass Graham recht haben könnte, zeigt, dass Colin wirklich kein Mann ist, den man zum Nachbarn haben möchte.
Wer es mag…
"Territory" baut mit dem Tod des Erben ein hinlänglich bekanntes Szenario auf. Da ist die Familie, die sich etwas erarbeitet hat, wofür mit Sicherheit nicht nur Schweiß und Tränen geflossen sind. Auf der anderen Seite sind die, die ihnen ihren Status neiden, wie etwa der Großzüchter Campbell Miller (Jay Ryan; "Beauty and the Beast"), der ein Auge auf das Land (und Emily) geworfen hat. Oder die Bergbauunternehmerin Sandra Kirby (Sara Wiseman), der die Rinder ziemlich egal sind, weil sie eher interessiert, was hier im Norden des Kontinents unter der Erde möglicherweise nur darauf wartet, an die Oberfläche geholt zu werden.
Das Problem der Serie, die auf der Internet Movie Database Top-Noten erhält (wobei daran erinnert sei, dass Kritiken immer subjektive Einzelmeinungen darstellen, auch diese hier), besteht darin, dass die Familie Lawson vom Kopf her stinkt. Colin ist ein so unleidlicher Ober-Jackaroo, dass sich die Frage stellt: Warum genau sollen wir, die Zuschauerinnen und Zuschauer, eigentlich für seine Familie Partei ergreifen? An Colin ist nichts, aber auch gar nichts, was sympathisch wirken würde oder zumindest respekteinflößend. Er ist, pardon my australian english, ein Arschloch durch und durch.
"Territory" im Vergleich mit "Yellowstone"
An dieser Stelle sei ein Vergleich mit Kevin Costners John Dutton erlaubt. Auch John Dutton ist kein Mensch, den man gerne im Nebenhaus wohnen haben möchte. Er ist aber ein Mann mit Prinzipien. Man mag sie teilen oder ablehnen, doch wenn Dutton jemandem sein Wort gibt, dann gilt dieses Wort. Man könnte ihn komplex nennen. Ein Heiliger ist er bestimmt nicht. Er ist aber auch nicht der personifizierte Teufel. Colin hingegen behandelt die Menschen in seinem Umfeld wie Dreck. Warum also wird dann sein Konkurrent Campbell Miller als Schurke dargestellt, weil er es auf Colins Land und Schwiegertochter abgesehen hat? Miller wirkt zielstrebig und weitaus moderner. Emily wiederum ist eine starke Frau, die sich von einem Kerl wie Colin nicht unterkriegen lässt. Das zeigt, dass dieser Campbell Miller Geschmack hat und bei einer Frau auf den Kern blickt und nicht nur Äußerlichkeit. Klar, sie ist verheiratet, aber ein bisschen Widerspruch muss sein...
Die Autoren begehen den Fehler, dass sie mit Colin Lawson eine Figur erschaffen, die von sich aus als Patriarch Respekt erzeugen soll. Ja, der Mann hat seine Fehler und ist vielleicht nicht einmal einer der Guten. Aber er trägt halt dieses Erbe - fünf Generationen Land, ein Vermächtnis für die Ewigkeit. Die Frage aber, die sie nicht beantworten können: Warum kann er dieses Erbe nur tragen, wenn er sich wie eine offene Hose verhält?
Natürlich werden Streitigkeiten im Outback nicht nur mit Worten und Argumenten ausgetragen. Ein wenig Action hier und da erinnert daran, dass dies ein Neo-Western ist. Man reitet zwar weitaus weniger als im amerikanischen Westen, doch die Gefährte, mit denen man hier über die Dünen knattert, erinnern nicht selten an "Mad Max". Das ist ganz nett anzuschauen. Dennoch sind die Parallelen zu den amerikanischen Formaten nicht zu übersehen und zeigen sich auch in der Mentalität der Figuren: Wer in dieser Welt bestehen will, darf kein Weichei sein. Leider sind die Grenzen zwischen "kein Weichei sein" und "als Drecksack agieren" oft sehr schmal, und diese Grenzen werden in "Territory" nicht nur gelegentlich überschritten - im Grunde spielt sich die gesamte Story auf der "Drecksack"-Seite des Spektrums ab.
Ein Patriarch, eine Familie im Aufruhr, böse Spekulanten, Action unter einer erbarmungslosen Sonne
Wie die Bewertungen auf der Internet Movie Database zeigen, findet diese Art von Geschichten dennoch ihr Publikum: Ein Patriarch, eine Familie im Aufruhr, böse Spekulanten, Action unter einer erbarmungslosen Sonne. Das sitzt. Passt. Hat Luft. Wenn eine Serie ihr Publikum findet, haben die Autorinnen und Autoren alles richtig gemacht. Für den Autor dieser Rezension aber passt in dieser Serie nichts zusammen. Wenn jede Figur im Namen des Überlebens zur moralischen Verwilderung neigt, verliert der Plot zwangsläufig an Tiefgang und bleibt eine hohle Abfolge von Härten ohne emotionales Fundament. Das Drehbuch bietet zwar Action und dramatische Konfrontationen, doch die Spannung bleibt oberflächlich, weil echte Charakterentwicklung fehlt.
"Territory" versucht zwar, die Härte und Unversöhnlichkeit des Outbacks als soziales und psychologisches Minenfeld darzustellen, doch es fehlt an Grautönen. Die Charaktere - und insbesondere Colin Lawson - sind keine tragischen Helden, sondern nur funktionale Stereotypen. Die Show nutzt das Setting zwar visuell äußerst stimmungsvoll, doch die emotionale Identifikation mit den Figuren bleibt auf der Strecke. Statt ambivalenter Schicksale in einer gnadenlosen Umgebung wirken die Protagonisten letztlich wie unnahbare Karikaturen, die mehr durch rohe Gewalt als durch innere Zerrissenheit geprägt sind.
Übrigens, ganz nebenbei: Die eigentliche Hauptfigur der Serie ist gar nicht Colin; Colin ist nur der Boss. Die Hauptfigur ist Emily, die das Potenzial für einen emotionalen Anker bietet. Doch leider agiert Emily viel zu oft als Getriebene. Statt als eigenständige, mit innerem Antrieb ausgestattete Figur ihre Entwicklung zu durchlaufen, wird sie überwiegend von den äußeren Umständen und Entscheidungen anderer überrollt, was dem Publikum kaum eine Chance lässt, ihre Perspektive einzunehmen oder sich mit ihren Kämpfen wirklich zu identifizieren.
Fazit: "Territory" fängt die raue Atmosphäre und die erbarmungslose Härte des Outbacks visuell beeindruckend ein, scheitert jedoch an eindimensionalen Charakteren und fehlender emotionaler Tiefe.